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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Thomas Huber: „Ich fahre mit lachendem Herzen“

Thomas Huber bricht wieder auf

Thomas Huber bricht wieder auf

Unglaublich – das beschreibt das derzeitige Leben Thomas Hubers ziemlich treffend. Kein Wunder, dass der 49 Jahre alte deutsche Topkletterer dieses Wort sehr häufig verwendet, als wir miteinander telefonieren. Thomas hatte, wie er selbst sagt, „unglaubliches Glück“, als er am 5. Juli seinen 16-Meter-Sturz aus einer Felswand überlebte. Er ist so „unglaublich schnell“ wieder auf die Beine gekommen, dass er in Kürze sogar – wie vor dem Absturz geplant – mit einer  „unglaublichen Freude“ auf Expedition nach Pakistan gehen kann. Wirklich unglaublich! Ziel ist die Nordseite des 7145 Meter hohen Granitriesen Latok I im Karakorum. Zu Hubers Team gehören Toni Gutsch – der schon 1997 mit den Huberbuam und dem US-Kletterer Conrad Anker an der Westwand des Latok II (7108 Meter) erfolgreich war – und Sebastian Brutscher.

Legendäres Scheitern

Das deutsche Trio wird sich das Basislager mit den US-Amerikanern George Henry Lowe, Jim Donini und Thomas R. Engelbach teilen, die in der Gegend ein wenig an Sechstausendern herumklettern wollen. Lowe und Donini, beide inzwischen über 70, schrieben 1978 am Latok I Geschichte: Zusammen mit Georges Cousin Jeff Lowe und Michael Kennedy eröffneten sie die Route über den Latok I-Nordgrat. 150 Meter unterhalb des Gipfels mussten sie im Sturm umkehren. „Das bemerkenswerteste Scheitern in der Alpingeschichte“, sagt Thomas Huber anerkennend. 26 (!) Tage am Stück verbrachten die vier US-Kletterer damals auf dem Grat, ehe sie völlig entkräftet, aber wohlbehalten ins Basislager zurückkehrten.

Thomas beim Hypoxie-Training

Thomas beim Hypoxie-Training

Thomas, du brichst in Kürze Richtung Pakistan auf, wenige Wochen nach deinem 16-Meter-Sturz und der Operation am Kopf. Wie kann das gehen?

Es war ja eine Schädelfraktur, die so behoben wurde, dass ich keine bleibenden Schäden zu erwarten hatte. Wir haben dann etliche medizinische Tests gemacht, mit Neurologen zusammengearbeitet. Ich habe mich mit einem speziellen Programm von Markus Göbel auf die große Höhe vorbereitet. Über Sauerstoffreduktion kann man dabei Höhen von bis zu 6000 Metern simulieren. Wir haben immer wieder die Gehirnströme gemessen und Kernspin-Tomographien gemacht. Das Ergebnis: Es hatte keine Auswirkungen auf mein Gehirn, es haben sich keine Ödeme gebildet. Die Ärzte haben mir eine so genannte „selbstverantwortliche Freigabe“ erteilt. Sie haben gesagt: „Thomas, letztendlich musst du es selber wissen.“ Ich habe mich Schritt für Schritt auf diesen Moment vorbereitet. Ich habe gar nicht mal immer an die Expedition gedacht, sondern wollte einfach gesund werden. Mit der Energie, die ich auch von außen, von meinem Umfeld bekommen habe, bin ich so unglaublich schnell genesen, dass ich jetzt den Mut habe, diese Expedition zu starten. Ich sage Ja zu dieser Expedition. Aber es braucht sich niemand Sorgen zu machen. Ich habe auch den Mut, in jedem Moment Nein zu sagen. Wenn ich merke, es passt körperlich nicht, sage ich Nein.

Du warst inzwischen auch wieder klettern, wie fühlte sich das an?

Noch ein bisschen wackelig. Die drei (gebrochenen) Dornfortsätze an den Wirbeln sind noch nicht optimal verwachsen. Da muss ich mich noch ein bisschen gedulden. Aber ich kann schon wieder Rucksäcke tragen. Ich bin mit meinem Sohn durch die Watzmann-Ostwand geklettert, über die Wiederroute auf die Mittelspitze. Ich war auch viel berglaufen. Das alles kann ich schmerzfrei machen, ohne Schwindel, ohne Kopfschmerzen. Nur die asymmetrische Belastung über den Rücken schmerzt beim Klettern hin und wieder noch ein bisschen.

Sprang beim Klettern auch mal das Kopfkino an, in dem Sinne, dass du an den Sturz gedacht hast?

Eigentlich nur einmal ganz kurz. Bei uns in der Kletterhalle gibt es eine automatische Rolle. Du kletterst hinauf, setzt sich dann in ein lockeres Gurtband und fährst langsam wieder nach unten. Dort habe ich für einen kurzen Moment gezögert. Ich habe hinuntergeschaut, das waren 15 Meter, etwa die Höhe, aus der ich im freien Fall abgestürzt war. Ich bin dann erst einmal zurückgeklettert. Meine Tochter war dabei und hat gesagt: „Beim nächsten Mal setzt du dich rein!“ Das habe ich dann auch gemacht, und es hat gepasst. Wenn ich gesichert bin, habe ich keine Probleme. Der Absturz ist passiert, weil das Kletterseil nicht normgerecht, sondern abgeschnitten war. Ich hatte unglaubliches Glück, das ich dankbar angenommen habe. Deshalb habe ich auch keine Albträume oder Kopfkino, dass ich denke: „Oh Gott, was ist da passiert?“ Ich bin dankbar und glücklich, dass ich leben und nach vorne schauen darf. Für mich heißt das jetzt, zum Latok I zu gehen. Ich sehe noch lange nicht den Gipfel. Vielleicht komme ich dort oben an, vielleicht auch nicht.  

Nordwand des Latok I

Nordwand des Latok I

Eigentlich ist die Bergsteiger-Saison im Karakorum doch gerade zu Ende gegangen. Warum seid ihr so spät dran?

Die Latok I-Nordwand bekommt sehr viel Sonne ab, weil sie auch eine Ostkomponente hat. Von fünf Uhr morgens bis drei Uhr nachmittags ist sie immer in der Sonne. Deshalb haben wir uns entschieden, im Herbst hinzugehen, wenn der Sonnenstand viel niedriger ist. Nur wenn die Wand im Schatten liegt, kann man sie durchsteigen. Sonst ist es unmöglich. Ich habe mir die Wetterdaten angesehen. Auch im Herbst gibt es brauchbares Wetter, und es ist einfach kälter.

Du hast jetzt von der Nordwand gesprochen, in früheren Berichten hieß es, ihr wolltet die Nordgrat-Route vollenden. Was genau habt ihr vor?

Es wird immer viel zu viel im Vorfeld geredet. Du musst vor der Wand stehen, und dann nimmst du genau den Weg, der dir am lässigsten und günstigsten erscheint. Vielleicht geht die Nordwand, vielleicht ist aber auch der Nordgrat der einzig mögliche Weg in dieser Jahreszeit und bei diesen Verhältnissen. Du musst immer flexibel sein. Wenn du an so einem Berg zu sehr auf ein einziges Ziel fixiert bist, ohne Alternativen zuzulassen, wirst du sehr wahrscheinlich ohne Gipfelerfolg zurückkommen. An solchen Bergen hast du vielleicht einen Plan, musst dann aber doch wieder neue Wege suchen, weil sich die Verhältnisse ständig ändern.

Weiter bergsteigen

Thomas 2015 am Latok I

Egal, ob Nordwand oder Nordgrat des Latok I, an beiden haben sich dutzende Expeditionen die Zähne ausgebissen. Kann man da überhaupt von einer Erfolgschance reden?

Nein, das kann man nicht. Aber beim Bergsteigen reizt es ja gerade, dorthin zu gehen, wo viele gescheitert sind. Deshalb bin ich damals zum Beispiel auch zum Ogre gegangen, einem unglaublichen Berg. (Thomas gelang 2001 mit den Schweizern Urs Stoecker und Iwan Wolf die zweite Besteigung des 7285 Meter hohen Bergs im Karakorum). Genauso sehe ich die Latok I-Nordwand. Das ist ein ausgesprochen schönes Ziel. Vielleicht auch inspiriert dadurch, dass so viele es nicht geschafft haben, glaubst du, dass du es durch deine Erfahrung, dein Können, vielleicht auch dein Glück schaffst, als Erster durchzukommen. Das reizt gewaltig.

Denkst du, dass du nach deinem Sturz jetzt das Unterwegssein noch mehr genießen wirst, unabhängig davon, ob ihr Erfolg habt oder nicht?

Ich fahre mit einer unglaublichen Freude dorthin. Es ist ein Riesengeschenk. Egal ob ich auf den Latok I hochkomme oder nicht, allein, dort jetzt unterwegs sein zu dürfen, ist unbeschreiblich. Diese Freude und Energie nehme ich auch mit. Irgendwann musst du die hohen Erwartungen hinter dir lassen und sagen: „Jetzt denke ich nicht mehr an das, was ich erreichen möchte, sondern begebe mich auf die Reise und lasse mich auf das Projekt ein.“ Ich habe ein wunderbares Team. Und ich glaube, wenn es über diese Energie eine Dynamik erfährt, dann kann man verrückte Dinge machen und Großes schaffen. Aber auch wenn ich ohne Gipfelerfolg heimkehre, fahre ich mit einem lachenden Herzen nach Hause, weil ich wieder gesund sein darf – und wild.

Datum

13. August 2016 | 10:37

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