Der Untergang des Everest-Abenteuers?
Zwölf Fußfallfelder. So groß soll das neue Bergsteiger-Zentrum werden, das die Chinesen auf der tibetischen Seite des Mount Everest bauen wollen. Nach einem Bericht der staatlichen Zeitung „China Daily“ soll der Riesenkomplex im Ort Gangkar, auch bekannt als Old Tingri, bis zum Jahr 2019 fertiggestellt werden. Der Ort liegt ungefähr 60 Kilometer nordwestlich des Everest, auf der Anreiseroute der Expeditionen zum höchsten Berg der Erde. Das Bergsteiger-Zentrum werde mehr als 100 Millionen Yuan (13,7 Millionen Euro) kosten, so die „China Daily“. Geplant seien unter anderem Quartiere und Restaurants für Bergsteiger, ein Landeplatz für Hubschrauberrettungsflüge, Büros für Expeditionsveranstalter, Werkstätten für Autos, Motorräder und Fahrräder sowie ein Bergsteiger-Museum. Die Bergsteiger-Szene diskutiert in den sozialen Netzwerken heftig über das Projekt. Einige sehen darin nicht weniger als den Untergang des Abenteuers am Everest. Die Nordseite des Everest werde sich „in ein chinesisches Disneyland verwandeln“, meint einer. Ein anderer glaubt, dass ein Sessellift auf den Gipfel nur noch eine Frage der Zeit sei. Dominik Müller, Chef des deutschen Expeditionsveranstalter Amical Alpin, kann die Aufregung nicht nachvollziehen.
Amical-Chef Müller: „Mehr Sicherheit“
„Da reden viele Leute mit, die die Situation auf der Nordseite gar nicht kennen“, schreibt mir Dominik. Im so genannten „Chinese Base Camp“ gebe es nur ein paar Teehäuser und „ein komplett heruntergekommenes Haus, in dem die lokalen Betreuer und Offiziere hausen müssen“. Noch wichtiger als der Punkt Infrastruktur sei die Frage der Sicherheit. Eine Bergrettung gebe es dort bisher nicht, so Müller. Da Flüge von Rettungshubschraubern auf der Nordseite verboten seien, müssten alle Höhenkranken und Unfallopfer von den Expeditionsärzten in Zelten versorgt und dann per Jeep aus dem Basislager gebracht werden. „Wenn nun dieses Bergsteiger-Zentrum tiefer als das Basislager gebaut wird, gibt es endlich die Möglichkeit, Höhenkranke, Verletzte und sonstige Kranke schnell vom Basislager in tiefere Lagen zu bringen und dort in ordentlichen Räumlichkeiten zu versorgen“, schreibt Dominik. „Unterm Strich wird dies die Qualität und vor allem die Sicherheit erhöhen und ist aus meiner Sicht zu begrüßen.“
Ähnlich äußerte sich Adrian Ballinger, Chef des US-Veranstalters Alpenglow Expeditions, schon vor Wochen auf Instagram: „Es ist doch gut zu wissen, dass ein schneller Abtransport möglich ist, wenn das Unerwartete geschieht. Es ist ein echter Schritt in der Verpflichtung Chinas/Tibets gegenüber dem Berg und der Bedeutung gut gemanagten Bergsteigens. Ich bin begeistert!“ Ballinger bietet seit 2015 nur noch Everest-Expeditionen über die Nordseite an.
Verkaufsschlager Everest
Kommerzielles Bergsteigen ist längst auch in China populär geworden. Große Expeditionsgruppen aus dem „Reich der Mitte“ tauchen nicht nur an den Achttausendern in Tibet auf – Billi Bierling berichtete im September vom Cho Oyu über eine tibetisch-chinesische Expedition mit etwa 150 (!) Mitgliedern – , sondern auch an den höchsten Bergen Nepals. Die Verantwortlichen in China haben erkannt, dass sich mit Bergtourismus und Bergsport Geld verdienen lässt, vor allem natürlich am höchsten aller Berge. Der Everest lässt sich – wie alle Prestigeberge weltweit – gut verkaufen, nicht nur im Westen und nicht nur an Bergsteiger. Schon 2005 sah ich chinesische Urlauber mit Atemmaske, die sich vom Kloster Rongbuk per Pferdekutsche zum Basislager bringen ließen. „Man kann das Rad nicht mehr zurückdrehen“, glaubt Amical-Chef Dominik Müller. „Durch die einfache und gute Erreichbarkeit des Basislagers wird es hier in Zukunft noch mehr Tagesausflügler geben.“ Bleibt die Frage, ob ein Bergsteiger-Zentrum in Everest-Nähe wirklich zwölf Fußballfelder groß sein muss.