10 Jahre IMS: Die letzte Wanderung
Der IMS wird mir fehlen. Nach zehn Jahren „International Mountain Summit“ in Brixen ist Schluss. Die Macher, Alex Ploner und Markus Gaiser, die ehrenamtlich und mit sehr viel Berg-Herzblut alljährlich dieses außergewöhnliche Bergfestival auf die Beine gestellt hatten, werfen das Handtuch. Der Grund: Mangelnde Unterstützung von außen. Wirklich schade! Jahr für Jahr gaben sich beim IMS frühere und aktuelle Stars der Szene die Klinke in die Hand: Reinhold Messner, Sir Chris Bonington, Doug Scott, die Huberbuam, Steve House, Alex Honnold, Ueli Steck, Gerlinde Kaltenbrunner, Ralf Dujmovits und, und, und. Sie hielten nicht nur Vorträge, sondern gingen auch, ganz uneitel, mit anderen Bergfreunden in den Bergen Südtirols wandern. Das machte den besonderen Reiz des IMS aus. Ich habe dieses „Walk and Talk“ immer sehr genossen.
Fremdschämen am Kangchendzönga
Gestern zum Beispiel stiegen wir mit der Südtiroler Profibergsteigerin Tamara Lunger hinauf zum Latzfonserkreuz auf 2305 Metern. Die dortige Hütte wird (noch) von ihren Eltern betrieben. Ich sprach mit Tamara über ihre Erlebnisse bei der Wintererstbesteigung des Nanga Parbat im Februar 2016. Während ihre Teamkollegen Simone Moro, Alex Txikon und Muhammad Ali „Sadpara“ den Gipfel erreicht hatten, war Lunger 70 Meter unterhalb des Gipfels umgekehrt. Den ganzen Gipfeltag über war es ihr schlecht gegangen. Gott habe ihr ein Zeichen gegeben, erzählt mir Tamara: „An dem Tag hat zehn Stunden Beten nichts geholfen. Da habe ich gewusst, da ist etwas faul.“ Im Frühjahr 2017 war sie wieder an einem Achttausender: Mit Simone Moro wollte sie alle Gipfel des Kangchendzönga-Massivs überqueren. Dazu kam es nicht, diesmal hatte Moro gesundheitliche Probleme. Nach der Expedition hatte Tamara erst einmal die Nase voll von den Achttausendern. Was sie im Basislager, in dem auch kommerzielle Expeditionen ihre Zelte aufgeschlagen hatten, erlebte, hat Narben hinterlassen. „Unglaublich, was einige Leute da so treiben. Ich habe mich teilweise für sie geschämt“, sagt Tamara. „Mit tat dort das Herz weh.“
Wellnessurlaub für die Seele
Auch Robert Jasper wanderte gestern mit zum Latzfonserkreuz. Der 50 Jahre alte deutsche Top-Kletterer war in diesem Sommer auf einer Solo-Expedition auf Grönland. Mit dem Faltkajak fuhr er von der letzten bewohnten Siedlung durch einen Fjord in Richtung des Berges, den er sich für eine Erstbegehung ausgeguckt hatte. „Mit dem Faltboot unterwegs zu sein, dann eine neue Route in einer Bigwall zu eröffnen, das Ganze mit reduzierten Mitteln – das war ein absolut geniales Abenteuer“, schwärmt mir Robert vor. Auch wenn er vor dem Start ein mulmiges Gefühl gehabt habe, sei er mit dem Alleinsein gut zurechtgekommen. „Über die Stille gelangst du sehr schnell zu dir selber. Das war Wellnessurlaub für die Seele.“ Bei der Rückkehr in die Zivilisation nach vier Wochen, so Robert, habe er jedoch ein paar Tage gebraucht, bis er wieder richtig habe sprechen können.
Keine Zeit verschwenden
Beat Kammerlander sucht sich seine Kletterziele bevorzugt vor der eigenen Haustür, im Rätikon. Der 59 Jahre alte Österreicher aus Feldkirch ist eine lebende Kletterlegende. Seit Jahrzehnten betreibt er alpines Sportklettern auf Weltklasse-Niveau. Noch im vergangenen Jahr eröffnete er mit der „Kampfzone“ am Kleinen Turm eine extrem schwierige Route. Ich frage Beat auf der IMS-Wanderung, ob er heute mehr kämpfen müsse als früher. „Man kämpft immer so gut, wie man kann“, antwortet Kammerlander und lacht. „Aber ich habe heute wohl noch mehr Motivation als früher und mehr Konsequenz, um ein Ziel zu erreichen. Ich verschwende keine Zeit mehr.“ Ans Ende seiner Karriere als Extremkletterer denkt Beat noch nicht. „Do what you love! Warum sollte ich mit etwas aufhören, was ich am liebsten mache?“
Wenn das bei Veranstaltungen wie dem „International Mountain Summit“ doch auch immer so leicht wäre …
P.S.: Ausführliche Artikel über meine Gespräche mit Tamara Lunger, Robert Jasper und Beat Kammerlander lasse ich folgen. Der IMS wird also noch nachwirken.