Walk and talk
Kaum waren wir losgegangen, lag auch schon der erste flach, ausgerutscht auf einer zugefrorenen Pfütze. Der italienische Extrembergsteiger Simone Moro eilte dem Unglücksraben, der sich dabei das Knie verdreht hatte, schnell zu Hilfe. Typisch Moro. „Wenn du zu Hause jemand hilfst, machst du das auch auf 8000 Metern“, erzählt mir der 43-Jährige etwas später beim Aufstieg zur 2545 Meter hohen Großen Pfannspitze, einem Wandergipfel mitten im Brixener Skigebiet.
Moro (2.v.r.) hilft, Urubko (l.) weiß den Gestürzten in guten Händen
IMS Walk nennt sich diese Veranstaltung des International Mountain Summit in Brixen, die Schule machen sollte. Ein paar Stunden lang wandern Menschen wie du und ich mit den besten Bergsteigern der Welt durch die Südtiroler Bergwelt. Neben Simone Moro ist sein Freund und Seilgefährte Denis Urubko mit von der Partie. Der Kasache hat alle 14 Achttausender ohne Atemmaske bestiegen. Mit Moro gelang ihm die erste Winterbesteigung des Makalu. Dritter im Bunde ist Krzystof Wielicki, lebende Bergsteiger-Legende aus Polen, 1980 der erste Mensch, der einen Achttausender im Winter bestieg, und dann gleich den Mount Everest.
Große Bergsteiger-Familie
Während wir in mäßigem Tempo aufsteigen, stehen die drei Extrembergsteiger geduldig und offen Rede und Antwort, erzählen von ihren Erlebnissen und scheinen sich ehrlich zu freuen, mit so vielen Gleichgesinnten unterwegs zu sein. „Das ist ganz anders als bei einem Vortrag, wo es nur heißt: Applaus und aus“, sagt Denis Urubko. „Hier kommst du mit vielen Mitgliedern der großen Bergsteiger-Familie ins Gespräch.“ Auch die Sonne scheint das toll zu finden, jedenfalls wärmt sie uns mit einer für Anfang November ungewöhnlichen Intensität.
Berge, so weit das Auge reicht
Wenn ich wieder ins rheinische Flachland zurückgekehrt bin, werde ich im Blog ausführliche Geschichten über Moro, Urubko und Wielicki folgen lassen. Ich würde diesen großartigen Bergsteigern und interessanten Menschen nicht gerecht, wenn ich die Interviews mit ihnen hier und jetzt in einem einzigen Artikel „verbraten“ würde. Aber den Mund will ich euch natürlich ein bisschen wässrig machen.
Der dritte Pickel
Denis Urubko erzählte mir beispielsweise von seiner Besteigung des Achttausenders Cho Oyu im Mai 2009. Mit seinem kasachischen Landsmann Boris Dedeshko hatte der 37-Jährige den Gipfel über eine neue direkte Route durch die Südwand erreicht – und das bei miserablem Wetter. „Das war die gefährlichste Kletterei meines Lebens“, sagt Denis. „Manchmal träume ich heute noch davon. Dann werde ich wach und kann nicht mehr einschlafen.“
Mit Simone Moro sprach ich über seine Angewohnheit, fast immer mit Freunden auf Expedition zu gehen. „Unsere Freundschaft ist wie der dritte Eispickel“, sagt Simone über Denis. „Das Team ist das Geheimnis meiner Abenteuer.“
Krzystof Wielicki, Simone Moro und Denis Urubko (v.l.)
Einfach die Träume gelebt
Krzystof Wielicki ist im Januar 60 Jahre alt geworden. Doch er wirkt 15 Jahre jünger und topfit. Nach wie vor ist er regelmäßig an den Achttausendern unterwegs. „Ich kann nicht ohne das Klettern im Himalaya sein“, gesteht der Pole. „Das ist mein Leben.“ Wir reden darüber, wie sich das Bergsteigen in den vergangenen drei Jahrzehnten verändert hat. „Wir waren privilegiert, haben einfach unsere Träume gelebt“, meint Wielicki. „Heute haben es die Bergsteiger schwerer.“
Abstieg vor Dolomitenkulisse
Die anderen Wanderer und ich aber haben es selten leichter als heute gehabt, mit drei Topbergsteigern ins Gespräch zu kommen – und dann auch noch bei herrlichem Herbstwetter und toller Aussicht. Der Teilnehmer, der so unsanft in die Tour gestartet war, erreichte übrigens auch den Gipfel – ohne weiteren Sturz.