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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Höhlensause

Ich bin abgetaucht, 65 Meter unter die Erde. Black Water Rafting nennt sich das dreistündige Abenteuer, das ich heute mit neun Taiwanesen und zwei Neuseeländern geteilt habe. Seit 23 Jahren bietet ein Veranstalter in Waitomo ein Höhlenerlebnis der besonderen Art an.


Höhlen-Abenteurer

Pünktlich finde ich mich im Büro ein und muss zunächst einmal einen Handzettel ausfüllen, auf dem ich ein Restrisiko akzeptiere und verneine, dass ich unter Klaustrophobie (umgangssprachlich Platzangst, obwohl diese eigentlich die Angst vor großen Räumen ist) oder schweren Krankheiten leide. „Du musst relativ fit, agil und mindestens zwölf Jahre alt sein“, heißt es im Prospekt. Das sollte passen. Viermal so viele Lenze zähle ich, und mit dem Zusatz „relativ“ hat mir der Anbieter sämtliche Türen offen gehalten.

Hundehöhle

Zunächst werden wir angekleidet. Neoprenhose, -jacke und -strümpfe, Gummischuhe und Helm mit Dioden-Lampe. „Vorher geht ihr aber bitte noch einmal aufs Klo. Dass mir keiner in den Anzug pieselt!“, schärft uns Cam ein, einer der drei Führer. Mit einem Kleinbus werden wir zu einer Höhle namens Ruakuri chauffiert, zur „Hundehöhle“. Als Maori, die neuseeländischen Ureinwohner, die Höhle vor 400 bis 500 Jahren entdeckten, wurden sie dort von wilden Hunden angegriffen.


Der Hintern muss hineinpassen

Heute sind wir die „wilden Hunde“. Am Sammelplatz muss sich jeder einen Gummireifen schnappen, in den der Allerwerteste gut hineinpasst. Cam zeigt uns, wie wir in der Höhle einen zwei Meter tiefe Wasserfall hinunterspringen sollen. „Stellt euch mit dem Rücken zum Wasser und zieht den Reifen über den Po. Ich zähle an, bei drei stoßt ihr euch kräftig ab. Das ist nötig, damit ihr nicht unten auf einem Fels landet.“ Damit wir ein Gefühl dafür entwickeln, springen wir von einem etwa gleich hohen Holzsteg in den Bach, der aus der Höhle fließt. Keiner drängelt sich vor. Ich bin der Zweite in der Reihe. Rückwärts ins Unbekannte springen gehört nicht unbedingt zu meinen Hobbys. Egal, Sekundenbruchteile nach dem Absprung lande ich tief im Bach und tauche prustend wie ein Walross wieder auf. Zwei Taiwanesinnen streiken. „Kein Problem“, sagt Cam, „neben dem Wasserfall gibt es eine Holztreppe, die ihr nehmen könnt.“


Kalt und nass erwischt

Nichts für Leute mit Platzangst

Über einen kleinen Waldpfad gelangen wir zum Eingang der Höhle, der in der Höhe vielleicht einen Meter misst. „Wegen des starken Regens gestern ist der Wasserstand ziemlich hoch“, warnt Führerin Elza. „Also schön den Kopf einziehen!“ Wir kriechen in die Höhle. Ich erwische mich bei dem Gedanken, was wäre, wenn jetzt ein Unwetter losbräche. Die Devise kann nur lauten: Gehirn ausschalten! Außerdem war der Himmel, als ich ihn eben das letzte Mal sah, ziemlich blau.
Nachdem wir die ersten Meter gebückt laufend hinter uns gebracht haben, setzen wir uns das erste Mal in die Gummireifen und paddeln los. Das Wasser fühlt sich verdammt kalt an, trotz des Neoprenanzugs. An einer Stelle muss ich mich sehr flach legen, um nicht an die geschätzt 30 Zentimeter hohe Höhlendecke zu stoßen. Leute mit Platzangst haben hier wirklich nichts zu suchen.

Blauer Fleck als Andenken

Im Licht der Helmlampe öffnet sich eine faszinierende Welt. Stalaktiten hängen von der Decke herab. Wir treiben durch enge Gänge und geräumige Felshallen. Die gemütliche Gummiboot-Fahrt hat ein Ende, als wir die erste Stromschnelle erreichen. „Ziehe die Knie dicht an den Oberkörper!“, schärft mir Elza ein. „Solltest du aus dem Reifen rutschen, lasse dich einfach treiben! Versuche bloß nicht, dich aufzurichten! Das ist gefährlich.“ Brav folge ich den Anweisungen. So brav, dass mein Allerwertester Bekanntschaft mit einem spitzen Stein am Grund macht. Ein blauer Fleck als Andenken ist sicher. Wir erreichen den ersten von zwei kleinen Wasserfällen. Der Sprung rückwärts hinunter ist nach der Generalprobe vor Beginn der Tour ein Kinderspiel.

Leuchtender Fliegenfänger

Spektakulärer ist die anschließende Fahrt im Dunkeln. Wir bilden eine lange Reihe, indem der Hintere seine Füße auf den Reifen des Vorderen legt, der wiederum die Gummiquanten des Hinteren festhält. Das Kommando „Helmlampen ausschalten!“ ertönt. Der Blick wandert unwillkürlich nach oben, denn dort schimmert es grünlich.


Glühende Verspeiser

Abertausende von Glühwürmchen-Larven (für alle, die es interessiert: die Art heißt Arachnocampa luminosa) sorgen für eine grellgrüne Lichterkette. Die ist eigentlich nichts anderes als jede Menge natürlicher Klebestreifen-Fliegenfänger, die ihr sicher schon einmal zu Hause verwendet habt. Das von den Larven chemisch erzeugte Licht lockt Insekten an, die an den herunter hängenden Fäden kleben bleiben und anschließend verspeist werden. Die Höhlen von Waitomo sind berühmt wegen ihrer Massen an Glühwürmchen. Ein unvergesslicher Anblick.

Anfänger!

Nach gut einer Stunde in der Tiefe werde ich von grellem Licht geblendet. Erst denke ich, wir führen in einen künstlich beleuchteten Höhlensaal ein. Dann erkenne ich, dass es sich um Tageslicht handelt. Der Ausgang der Höhle. Nass, durchgefroren, aber glücklich stapfen wir zum Kleinbus zurück. Kurz vor dem Parkplatz durchdringen grelle Schreie die Stille des Waldes: Die nächste Gruppe probt den Sprung rückwärts. Neun Taiwanesen, zwei Neuseeländer und ich halten die Nase ein kleines Stück höher. Diese Anfänger!

Datum

27. April 2011 | 9:05

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