Russell Brice klagt an
Er hat wochenlang geschwiegen, jetzt findet er deutliche Worte. „Das ist mein zwanzigstes Jahr als Expeditionsveranstalter für Himalayan Experience, aber niemals zuvor habe sich so unterschiedliche Emotionen durchlebt wie in diesem Jahr“, schreibt Russell Brice zu Beginn seiner fünfteiligen Serie über das, was am und um den Mount Everest in diesem Frühjahr geschehen ist. In meinem Blog kann ich den Inhalt nur kurz zusammenfassen, aber ich empfehle wirklich, euch die Zeit zu nehmen, um Russells Berichte aus erster Hand in voller Länge zu lesen. Der Neuseeländer befand sich im Everest-Basislager, als am 18. April die verheerende Lawine über dem Khumbu-Eisbruch niederging und 16 Nepalesen tötete. „Offenbar gab es in diesem Bereich zur Zeit der Lawine einen Stau, so dass es nicht überrascht, dass so viele getötet und verletzt wurden.“
Wo floss das Geld hin?
Mehr als 150 Menschen hätten sich zu dieser Zeit im Eisbruch befunden, schätzt Brice. Er lobt alle, die sich bei der Rettungsaktion engagierten, die unmittelbar nach der Lawine begann. „So viele Menschen zu sehen, die ohne zu zögern den Berg hinauflaufen und sich selbst in Gefahr bringen, um anderen zu helfen, das kann gar nicht hoch genug bewertet werden.“ Russell wirft dem nepalesischen Tourismusministerium vor, dass sich am Tag der Lawine nur drei der 39 Verbindungsoffiziere wirklich im Basislager aufgehalten hätten. „Zur Erinnerung: Jeder Verbindungoffizier erhält 2500 Dollar plus Reisespesen, so dass wir als Expeditionsteams fast 100.000 Dollar für nichts gezahlt haben, was zu der Frage führt: Wohin ist das Geld eigentlich geflossen?“
„Korrupte Leute“
„Ohne Absprache“ habe das Ministerium einen großen Militärhubschrauber nach Pheriche geschickt, um die Leichen der Lawinenopfer abzuholen und nach Lukla zu fliegen, wo sie von der Polizei identifiziert werden sollten, berichtet der 61-Jährige. „Eine Aufgabe, die auch die Verbindungsoffiziere im Basislager hätten erledigen können. Dann hatte der Militärhubschrauber einen technischen Defekt und musste über Nacht am Boden bleiben, was zu großer Empörung unter den trauernden Familien führte.“ Russell lässt kein gutes Haar am Ministerium, vor allem an Unterstaatssekretär Madhu Sudan Burlakoti: „Manchmal sitzt auf diesem Posten ein guter Mensch, der verständnisvoll ist. Manchmal aber haben wir dort, wie jetzt gerade, auch korrupte Leute, die nicht helfen wollen. Nachdem ich in der letzten Woche verschiedene Treffen mit dem Unterstaatssekretär hatte, bin ich entsetzt über seinen absoluten Mangel an Verständnis und über das aufgeblasene und ausfällige Auftreten dieses Mannes gegenüber meinen Mitarbeitern und gegenüber anderen Menschen mit beachtlichem Ruf.“
Dieselben Gesichter, dieselben Probleme
Der Expeditionsveranstalter aus Neuseeland bestätigt, dass es im Basislager einige gewaltbereite Sherpas gab. Russell fragte seinen Sirdar, Phurba Tashi, ob die Sherpas weiter bereit seien, auf Everest und Lhotse zu klettern. „Er sagte mir, dass sie alle bereit seien. Aber er meinte auch, dass es nicht klug sei, wenn Himalayan Experience die Expedition fortsetze, da darüber geredet werde, dass andere Sherpas unseren Mitarbeitern die Beine brechen und unsere Büroräume in Kathmandu in Brand setzten würden, falls wir weitermachten. Mit großer Sorge und widerwillig entschied ich schließlich, dass es das Beste wäre, unsere Expeditionen zu beenden.“ Brice benennt einige Sherpas, die er beschuldigt, die Atmosphäre nicht nur in diesem Frühjahr vergiftet zu haben, sondern auch schon nach der Lawine am Manaslu im Herbst 2012, bei der elf Bergsteiger ums Leben gekommen waren, und im Streit mit Simone Moro und Ueli Steck im Frühjahr 2013. „Ich sehe dieselben Gesichter, die für Probleme sorgen.“
Diese Sherpas hätten sich nicht an die Vereinbarungen gehalten, dass jedes Team selbst entscheiden können sollte, ob es weitermacht oder nicht, und dass kein Druck auf die Teams ausgeübt werden sollte, sagt Russell. „Deshalb habe ich vor genau diesen Sherpas, die sich durchgesetzt und die Everest Saison gekidnappt haben, jeden Respekt verloren.“
Vor schweren Zeiten
Nach wochenlangen Verhandlungen mit dem Tourismusministerium in Kathmandu ist der Neuseeländer ernüchtert. „Es war die beste Gelegenheit, die das Ministerium jemals gehabt hat, um sinnvolle und fortschrittliche Reformen einzuleiten, die von den Sherpas geschätzt worden wären und die der internationalen Gemeinschaft gezeigt hätten, dass die Regierung das wichtige Tourismusgeschäft seriös verwaltet“, schreibt Russell Brice. „Aber nein, sie haben nichts getan, das ist enttäuschend. Noch schlimmer aber ist, dass die Mitarbeiter des Ministeriums in Korruption, Lügen und Täuschung verwickelt sind.“
Russell sieht schwierige Zeiten für Nepal aufziehen. „Bergsteigern und Sponsoren fällt es jetzt schwer, Vertrauen in die für den Bergtourismus in Nepal zuständigen Behörden zu haben. Die langfristigen Folgen werden wahrscheinlich ziemlich drastisch sein. Und das wird sich darauf auswirken, wie viele Nepalesen Arbeit haben: nicht nur Sherpas, sondern auch Angestellte von Hotels, Lodges, Fluglinien und Lebensmittelherstellern, Träger, Taxifahrer, selbst Postkartenverkäufer.“