Brice: “Es ist einfach, etwas zu verkünden und dann nichts zu tun”
Er ist der Doyen der westlichen Expeditionsveranstalter. Der Neuseeländer Russell Brice leitet seit 1974 Expeditionen im Himalaya. Kaum einer seiner Kollegen kann so viel Erfahrung vorweisen wie der 63 Jahre alte Chef der Agentur Himalayan Experience – nicht nur wenn es darum geht, Aufstiege auf Achttausender zu organisieren, sondern auch im Umgang mit den Behörden. Fast in Vergessenheit ist geraten, dass Russell in seinen jüngeren Jahren ein exzellenter Höhenbergsteiger war – und auch ein Pionier am Everest: 1988 gelang ihm zusammen mit dem Briten Harry Taylor die erstmalige Überschreitung der „Three Pinnacles“ am Nordostgrat. Ich wollte von Brice wissen, wie er über die aktuelle Lage in Nepal denkt.
Russ, in diesem Frühjahr bietet Himalayan Experience Expeditionen zum Mount Everest und Lhotse an. Wie groß ist die Nachfrage?
Verglichen mit den letzten Jahren sehr gering.
Hat sich die Einstellung deiner Kunden wegen der Ereignisse 2014 (Lawine im Khumbu-Eisfall) und 2015 (Erdbeben und Lawine, die das Everest-Basislager traf) verändert?
Ja, sehr stark. Viele Leute wollen erst einmal abwarten, ob es eine sichere und erfolgreiche Saison wird, bevor sie buchen. Deshalb wird die Saison 2016 sehr wichtig, als Zeichen, dass wir den Everest immer noch relativ sicher besteigen können.
2015 haben die nepalesischen Behörden strengere Regeln für Everest-Aspiranten angekündigt – Altersbeschränkungen (keine Permits für Bergsteiger, die jünger als 18 und älter als 75 Jahre sind), ein Mindestmaß an alpinistischer Erfahrung (mindestens ein Gipfelerfolg an einem Berg, der höher als 6500 Meter ist) und an körperlichen Voraussetzungen. Was hältst du davon?
Die Behörden in Nepal kündigen immer irgendetwas an, und dann dauert es ewig, bis sie es auch umsetzen. Ich halte ein Alterslimit für junge und alte Bergsteiger für eine gute Idee, um dem absurden Streben einiger Leute einen Riegel vorzuschieben.
6500 Meter zu erreichen, bedeutet noch gar nicht. Du kannst einen relativ leichten Berg wie den Aconcagua [mit 6962 Metern der höchste Berg Südamerikas] besteigen und es würde reichen, nicht dagegen, wenn du den Gipfel eines schwierigeren Bergs wie des Denali [mit 6190 Metern der höchste Berg Nordamerikas] erreichst. Glaubst du etwa, dass die nepalesischen Behörden wirklich nachprüfen würden, ob die Leute diese Berge bestiegen haben oder nicht? Natürlich nicht. Sie haben überhaupt kein Interesse daran, und die meisten Leute werden einfach lügen. Es wäre viel besser zu fragen, ob die Bergsteiger, die zum Everest wollen, bereits einen anderen Achttausender bestiegen haben. Das könnten die Behörden in Nepal dann wirklich nachprüfen.
Zweieinhalb Monate vor dem Beginn der Frühlingssaison sind diese neuen Regeln ebenso wenig in Kraft wie die versprochene Verlängerung der Permits (Besteigungsgenehmigungen) von 2015. Ärgerst du dich über die Tatenlosigkeit der Regierung? Vielleicht bist du ja auch schon daran gewöhnt.
Absolut. Ich bin extrem enttäuscht darüber, dass die Regierung sich nicht dafür einsetzt, die Erdbeben-Hilfsgelder an die Menschen zu verteilen, die dringend Hilfe brauchen, und dass sie kein Interesse daran zeigt, den Tourismussektor wieder aufzubauen. Es ist so einfach, etwas zu verkünden und dann nichts zu tun.
Ich habe zwar gehört, dass die Permits für die Bergsteiger, die im vergangenen Jahr auf Expedition in Nepal waren, um zwei Jahre verlängert werden sollen. Aber wieder einmal hat diese Initiative noch nicht das Parlament erreicht, und wir kennen auch noch nicht die Details, wie sie umgesetzt werden soll. Wie sollen wir das unseren Kunden vermitteln?
Im vergangenen Jahr erhielten wir die Bestätigung, dass die alten Permits weiter gültig blieben, erst um acht Uhr abends am Tag, bevor wir morgens um 6 Uhr ins Basislager aufbrechen wollten. Wir als Veranstalter haben das große Risiko getragen, diese Kunden nach Nepal zu bringen, ohne jede Unterstützung der Behörden.
Obwohl es in den vergangenen beiden Jahren keine Gipfelerfolge von der nepalesischen Seite aus gab, bist du nicht auf die Nordseite gewechselt. Warum nicht?
Ich bin derzeit nicht dafür gerüstet, in Tibet zu arbeiten, aber ich traue auch den chinesischen Behörden nicht, nachdem sie in der vergangenen Herbstsaison wieder einmal Tibet geschlossen haben. Als sie genau das auch 2008 drei Tage vor unserer Anreise machten, habe ich eine Viertelmillion Dollar verloren. Das kann ich mir nicht noch einmal leisten.
Aber ich versuche auch, den Menschen in Nepal, so gut ich kann, zu helfen, weil es die Regierung ganz gewiss nicht tut.
Die Situation in Nepal ist immer noch schwierig, auch wegen der andauernden Blockade der Grenze zu Indien. Siehst du der bevorstehenden Frühlingssaison optimistisch oder mit gemischten Gefühlen entgegen?
Ich bin beschämt und bestürzt, dass die neue nepalesische Regierung es in so vielen Monaten nicht geschafft hat, das Problem der Blockade zu lösen. Ich bin ausgesprochen beunruhigt, dass es auch zu Beginn der Bergsteiger-Saison noch so sein könnte. Das würde uns Veranstalter heftig treffen, wegen der Kosten für Lebensmittel, Treibstoff, Transport und so weiter.
Ich freue mich nicht gerade auf die nächste Saison, aber wir müssen einfach dort sein, mit einer positiven Einstellung. Wenn die einheimischen Behörden das nicht leisten können, müssen dafür eben wir einspringen und unser Bestes geben. Zu viele Menschen verlassen sich darauf, dass wir Touristen nach Nepal bringen. Deshalb müssen wir alles versuchen, um dieses Geschäft wiederzubeleben.