More DW Blogs DW.COM

Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

„Everest-Sicherheit hat ihren Preis“

Andreas Friedrich auf dem Gipfel des Everest

Andreas Friedrich auf dem Gipfel des Everest

Glück ist nicht planbar, die Voraussetzungen dafür bis zu einem gewissen Grad schon. „Ich kam auf den Gipfel und hatte ihn für mich und meinen Sherpa Son Dorjee alleine“, erzählt mir Andreas Friedrich, der am 13. Mai als erster Deutscher in dieser Saison auf dem Gipfel des Mount Everest stand. „Es war ein unglaublicher Luxus, dort oben alleine zu stehen. Da hatte ich Riesenglück.“ Zu verdanken habe er es der Weitsicht seines erfahrenen Expeditionsleiters Russell Brice. Der „alte Fuchs“ aus Neuseeland, Chef des Veranstalters Himalayan Experience, war mit seiner Gruppe im Basislager geblieben, als fast alle Gruppen sich per Hubschrauber in niedrigere Regionen fliegen ließen, um sich für einen Gipfelversuch um den 20. Mai herum noch einmal in „dickerer“ Luft zu erholen. „So hatten wir einen Vorsprung von einigen Tagen und erreichten als erstes Team eines kommerziellen Veranstalters den Gipfel“, sagt Andreas Friedrich.

„Erfahrungen waren Erfrierungen wert“

andreas friedrich everest II„Das Wetter war zwar hundsmiserabel, minus 30 bis 35 Grad, ein absolut böiger Wind. Aber ich war dort oben komplett aufgedreht.“ Nach einigen Gipfelfotos habe er sich noch eine Viertelstunde Zeit genommen und „diese Bilder in mich eingesogen: die plötzlich zur Miniaturgröße geschrumpften Berge um mich herum, die Gletscher, die nur noch Pinselstriche waren.“ Der 54 Jahre alte Flugkapitän aus München zog sich am Gipfeltag Erfrierungen zweiten bis dritten Grades an allen Fingerspitzen zu. „Die Hand wird lebenslang empfindlich bleiben“, sagt Andreas. „Aber das war es mir absolut wert. Die Erfahrungen, die ich gemacht, die Lektionen, die ich gelernt habe, alle diese neuen Gefühle überwiegen bei weitem das Theater, das die fünf Finger künftig machen werden.“

Andreas Friedrich: Ich hatte den Gipfel für mich alleine

Wie in den 1970er Jahren

Mehr als 400 Bergsteiger erreichten in diesem Frühjahr von Nepal aus den Gipfel des Everest, über 100 von Tibet aus. Das klingt fast schon wieder normal – nach einem Jahr 2015 ganz ohne Gipfelerfolge auf beiden Seiten des Bergs wegen des verheerenden Erdbebens in Nepal und der vorzeitig beendeten Saison 2014 auf der Südseite nach dem Lawinenunglück im Khumbu-Eisbruch. Doch es sei diesmal im Khumbu-Gebiet schon anders gewesen, findet Andreas Friedrich: „Die Teehäuser waren leer, Namche Bazaar glich einer Geisterstadt.“ Mit rund 290 ausländischen Bergsteigern sei es auch im Basislager leerer gewesen als sonst. „Die Atmosphäre im Basislager war gefühlt wie in den 60er, 70er Jahren: sehr entspannt. Es war Platz auf dem Gletscher. Und das setzte sich am Berg fort.“

Keine Spielwiese

Gefährlicher Khumbu-Eisbruch

Gefährlicher Khumbu-Eisbruch

Erst beim Abstieg vom Gipfel gerieten Andreas und seine Teamkollegen in einen Stau – ausgerechnet im gefährlichen Eisbruch, weil ihnen dort die vielen Gipfelanwärter entgegen kamen, die sich für den 19. oder 20. Mai als Gipfeltag entschieden hatten. Unter ihnen seien auch einige gewesen, die den Anforderungen des Everest eigentlich nicht gewachsen waren, erzählt Andreas, der vor dem Everest schon den Achttausender Manaslu (2012) und andere hohe Berge im Himalaya bestiegen hatte: „Leute, die nicht wussten, wie man im Eisfall mit Steigeisen geht und Leitern überquert oder wie man einen Jümar (Steigklemme) benutzt. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen und den Kopf geschüttelt. Der Everest ist doch kein Berg zum Üben, keine Spielweise.“

Notfall-Sauerstoff fehlte

Dass in dieser Saison fünf Bergsteiger am Everest ihr Leben ließen, habe ihn nicht sonderlich überrascht, sagt Andreas Friedrich. „Ich denke, es wäre vermeidbar gewesen, wenn man wie Russell Brice am Südsattel oder in Lager 3 genügend Sauerstoff für Notfälle gebunkert hätte.“ Doch lokale Billiganbieter wie Seven Summit Treks hätten aus Kostengründen darauf verzichtet. „Jeder, der für 18.000 Euro einen lokalen Anbieter bucht, mag sich fünf Minuten lang die Hände reiben wegen des Schnäppchens. Aber es hat auch seinen Preis. Man bezahlt dafür mit viel weniger Knowhow und Extras, die dazugekauft werden müssen.“

Brice: „Bei mir wären sie früher zurückgerufen worden“

Russell Brice

Russell Brice

Auch Expeditionsleiter Russell Brice legt den Finger in diese Wunde. „Einmal mehr waren in diesem Jahr für die Todesfälle die billigeren Anbieter aus Nepal verantwortlich, die kaum für zusätzliche Absicherung sorgen und die immer noch ungeeignete Bergsteiger mitnehmen, die viel zu viel Zeit brauchen, um auf den Gipfel zu kommen, und dann Probleme kriegen.“ Bei seiner Expedition, so der Himex-Chef, wären solche Kunden schon viel früher zurückbeordert worden. „Alle Kunden, sie sich für billigere lokale Teams entscheiden, sollten sich bewusst sein, dass es für den niedrigeren Preis auch einen Grund gibt und dass sie sehr wenig Unterstützung erhalten werden.“

Andreas Friedrich: Sicherheit hat ihren Preis

Das sieht auch Andreas Friedrich so, der für sein Abenteuer Everest zwar tief in die Tasche gegriffen hat, das viele Geld aber für gut angelegt hält: „Wenn ich Bockmist baue oder irgendetwas passiert, kann ich mich auf das Risiko- und Krisenmanagement Russells und seiner Sherpas hundertprozentig verlassen. Und das hat nun einmal seinen Preis.“

P.S.: Everest-Besteiger Andreas Friedrich ist auch Gründer der Hilfsaktion „MountainProjects“, die sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, im 2200 Meter hoch gelegenen nepalesischen Dorf Kagate eine Schule zu bauen.

Datum

6. Juni 2016 | 17:02

Teilen