Eigenverantwortung statt Vollkasko-Mentalität
„Empirische Methoden der Sozialforschung“, der blanke Horror. Stinklangweilig. Mit Ach und Krach bestand ich an der Uni München die Klausur. Ich atmete tief durch. Abgehakt, nie wieder! Das Skript der Vorlesung verschwand sofort im Papierkorb. Fast 30 Jahre ist das her. Und doch hat sich überraschenderweise in meinem Hinterkopf der Appell des Dozenten von damals gehalten: Misstraut jeder Statistik, vor allem den Schlussfolgerungen, prüft die Fakten! „Weniger Tote in den Bergen“, so oder ähnlich titeln heute viele Zeitungen und beziehen sich auf die Bergunfall-Statistik des Deutschen Alpenvereins (DAV) 2012. Es lohnt sich – wie immer – genauer hinzusehen.
Historischer DAV-Tiefstand
Korrekt müsste die Schlagzeile eigentlich heißen: „Weniger tote DAV-Mitglieder in den Bergen“. Die Statistik erfasst nämlich nur die Bergunfälle von Alpenvereinsmitgliedern, die der Versicherung des DAV gemeldet wurden. 28 Mitglieder ließen 2012 in den Bergen ihr Leben, laut Alpenverein so wenige wie noch nie seit Beginn der Statistik im Jahr 1952 – und das, obwohl sich die Mitgliederzahl seitdem fast verzehnfacht habe: 2012 waren es knapp eine Million, inzwischen ist die Marke geknackt.
Wetter spielte wichtige Rolle
„Das Todesfallrisiko im Bergsport ist innerhalb von 61 Jahren auf ein Dreizehntel gesunken“, schließt der DAV. Auch hier müsste es eigentlich heißen: das Risiko für DAV-Bergsportler. Denkbar wäre doch etwa, dass Vereinsmitglieder über die Gefahren in den Bergen besser informiert und deshalb sicherheitsbewusster unterwegs sind als Nicht-DAVler. Der Alpenverein verweist zudem selbst auf einen wichtigen Faktor für die niedrige Zahl an Bergtoten: das Wetter. „Die Skitourensaison 2011/12 endete früh, und durch einen Wintereinbruch im Oktober war auch die Sommersaison kurz“, sagt Florian Hellberg vom DAV.
Immer unvorsichtiger
Erst vor wenigen Tagen hat die Bergrettung Tirol darauf verwiesen, dass in Österreich schon jetzt, also früh in der Saison 2013, die Zahl der Bergtoten von 2012 (23) beinahe erreicht sei. „Generell ist leider zu beobachten, dass die Leute immer unvorsichtiger werden und noch unvorbereiteter als bisher auf den Berg gehen“, beklagte Geschäftsführer Peter Veider. „Oft gibt es überhaupt keine Tourenplanung mehr, und niemand kümmert sich um die Wetterlage.“
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In diesem Punkt schlägt auch der DAV mit Blick auf die eigene Statistik Alarm: „Immer mehr Bergssportler bringen sich in eine Notsituation, die den Einsatz der Rettungskräfte erfordert.“ Das zeige sich besonders deutlich an Klettersteigen. Immer häufiger müsse die Rettung ausrücken, um Kletterer zu bergen, die weder vor noch zurück kämen und dann einen Notruf absetzten. Eine ehrliche Selbsteinschätzung und die entsprechende Auswahl der Tourenziele sei besonders wichtig. „Statt Vollkasko-Mentalität ist im Gebirge eigenverantwortliches Handeln gefragt“, sagt Stefan Winter vom DAV. Dahinter setze ich drei Ausrufezeichen – und mache daraus die Schlagzeile für diesen Artikel.
P.S. Endspurt! Am Sonntag endet die Hauptwahl zum Online-Star 2013. Auf der rechten Blogseite findet ihr den Link. Tausend Dank!