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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Der Bergbrenner vom Königssee

Bergbrenner Hubsi Ilsanker

Eigentlich wähnte ich mich auf ewig für Enzian verloren. Schuld war eine alte Bäuerin aus dem Alpbachtal, dir mir vor Jahren einen Selbstgebrannten kredenzte, der so intensiv nach Erde schmeckte wie Austern nach Meer. Pfui Teufel! Es schüttelt mich noch immer, wenn ich daran zurückdenke. Hubert Ilsanker, den alle nur „Hubsi“ nennen, hat mich wieder mit dem Enzian versöhnt. Ich traf den Berchtesgadener vor Wochen bei einer Wanderung in Brixen in Südtirol und kostete seinen sieben Jahre alten Edelwurz-Enzian. Ein Genuss! Der Mann versteht sein Handwerk. „Hubsi“ ist ein Unikum, der einzige (lizensierte) Bergbrenner Deutschlands.

Mehr als 300 Jahre altes Sonderrecht

Wie ein Almbauer verbringt auch Ilsanker zur Jahresmitte vier Monate in den Bergen – in vier alten Brennhütten rund um den Königssee, zwischen 1200 und 1600 Meter hoch. Obwohl drei der vier Hütten im Nationalpark Berchtesgaden liegen und Enzian unter Naturschutz steht, darf der 44-Jährige dort Wurzeln ausgraben und zu Schnaps verarbeiten. Das Recht, „die Almen durch maßvolles, aber regelmäßiges Enzianwurzelgraben milchviehgerecht zu halten, Enzian zu brennen und zu verkaufen“, erwarb die Berchtesgadener Familie Grassl bereits 1692, fast 300 Jahre vor Gründung des Nationalparks. Da er als Einziger und immer wieder an anderen Stellen grabe, sei das kein Problem, sagt Ilsanker: „Wenn du nach sieben bis zehn Jahren wieder an diese Stelle kommst, merkt niemand mehr, dass da jemals eine Wurzel entwendet wurde.“

Früh übt sich

Hubsi produziert ja auch keine Massenware, sondern Edelschnäpse, für die der Kunde etwas tiefer in die Tasche greifen muss. Dafür erhält er einen Enzian, der nach dem Brand noch fünf bis sieben Jahre lang im Fass gereift ist und von dem Ilsanker noch sagen kann, wann und wo er die Wurzeln dafür ausgegraben hat. „Wenn ich dann Gäste um mich herum habe, die sagen ‚Mensch, ist der gut!‘, das ist schon ein super Gefühl.“ Seit 23 Jahren ist Hubsi als Bergbrenner offiziell angestellt, schon mit 15 hat er für seinen Vorgänger Enzian-Wurzeln ausgegraben. „Da habe ich gedacht, das mache ich irgendwann mal.“ Als Kind hatte Ilsanker viel Zeit in den Bergen verbracht, weil sein Vater Holzfäller war und ihn oft mitgenommen hatte. „Das hat mir gefallen. Viel arbeiten, abends in der Hütte sitzen, Feuer machen, kochen. Männerwirtschaft.“

Hubert Ilsanker: Von der Wurzel bis zum fertigen Schnaps

Ein Bergbrenner müsse auch Bergsteiger sein, sagt Hubsi, „einigermaßen gut beieinander“ – und trittfest: „Du musst ja bis zu 50 Kilogramm herunterbringen. Da hast du einen Sack auf dem Rücken, einen ziehst du hinter dir her. Oder du nimmst nur einen, dann musst zu zweimal gehen.“

Die Mischung macht’s

Als seine beiden Kinder noch klein waren, hat Hubsi seine ganze Familie mit auf den Berg genommen. Jetzt ist er häufiger allein. Ein Problem hat er damit nicht. „Ich glaube, wer am Berg oben alleine arbeitet und mit den Tieren, Blumen und Steinen per du ist, ist nicht so einsam wie einer, der in irgendeinem Plattenbau in der Großstadt wohnt.“ Als Ausgleich hat der Bergbrenner seine andere Leidenschaft, die Musik. An einem Tag in der Woche steigt Ilsanker ins Tal ab und spielt bei Volksfesten oder anderen Gelegenheiten auf. So kommt er regelmäßig wieder unter Menschen. „Berufsmusiker zu sein“, sagt Hubsi, „wäre mir zu anstrengend. Würde ich aber andererseits nur in der Einsamkeit arbeiten, könnte ich schon schwermütig werden. Wir sind einfach Rudeltiere.“ Die Mischung stimmt.

Hubert Ilsanker:Einsamkeit ist in Plattenbauten größer

Schnaps als ein Stück Bergkultur

Einen Gipfelschnaps in Ehren …

An Schönwetter-Tagen gibt der Bergbrenner auch gerne den Fremdenführer, wenn viele Wanderer seine Hütten besuchen. „Dann ist es schon eine Turnerei zwischen Brennerei und Gästen. Und wenn dann lustige Gruppen vor der Hütte sitzen, kann es auch finster werden, bis Feierabend ist.“ Ein guter Schnaps, findet Hubsi, sei ein Stück Bergkultur: „Als die Leute noch mit roten Kniestrümpfen und Bundhose in die Berg gegangen sind, war ein Flachmann im Rucksack eigentlich Pflicht. Und der Gipfelschnaps schmeckt dem Bergwanderer genauso wie dem Extrembergsteiger.“

Hubert Ilsanker: Gipfelschnaps schmeckt

Schnell wieder ein Talferkel

Wenn er nach vier Monaten am Berg wieder absteigt, überkommt den Bergbrenner Ilsanker schon ein bisschen Wehmut. Fast wie bei einem Almabtrieb. „Nein, ich schmücke mich nicht“, sagt Hubsi und lacht. Einen kleinen Kulturschock erlebt er, wenn er, im Tal angekommen, an der ersten Ampel wild angehupt wird, weil er nicht flink genug losfährt. „Aber das legt sich relativ schnell. Dann ist man wieder ein Talferkel.“

Hubert Ilsanker: Schnell wieder ein Talferkel

P.S. Hubsi Ilsanker hat auch ein Buch über seine Arbeit in den Bergen geschrieben.

Datum

3. Dezember 2013 | 14:50

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