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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Andy Holzer: „Unsere Everest-Chance lebt“

Andy Holzer 2015 auf dem Rongbuk-Gletscher am Everest

Sechs der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente, hat Andy Holzer bereits bestiegen. Nur der allerhöchste fehlt noch in der Sammlung des blinden Bergsteigers aus Österreich. Zum dritten Mal will sich der 50-Jährige aus Lienz in Osttirol in diesem Frühjahr am Mount Everest versuchen. Bei seinem ersten Anlauf 2014 war die Saison nach dem Lawinenunglück im Khumbu-Eisbruch, bei dem 16 Nepalesen ums Leben gekommen waren, abgebrochen worden. Im Frühjahr 2015 hatte das verheerende Erdbeben in Nepal mit fast 9000 Toten dafür gesorgt, dass der Everest weder von Süden, noch von Norden aus bestiegen worden war. Wir vor zwei Jahren plant Holzer,  auch diesmal über die tibetische Nordseite aufzusteigen. Begleitet wird er von seinen (sehenden) Osttiroler Freunden Wolfgang Klocker und Klemens Bichler.

Andy, wieder reist du zum Mount Everest – nach zwei Anläufen 2014 und 2015, bei denen dir aus unterschiedlichen Gründen gar nicht erst die Möglichkeit gegeben wurde, dich am höchsten aller Berge zu versuchen. Dreimal ist göttlich?

Andy Holzer

Einmal, zweimal, dreimal, viermal, das haben die Menschen erfunden. Ich gehe nochmal dorthin, weil ich zu wissen glaube: Wenn alles stimmt, meine Verfassung an diesem Tag, die Verfassung meiner Freunde dort, das Wetter, die Verhältnisse am Berg … dann könnte es für uns klappen.

Wie schon 2015 willst du von der tibetischen Nordseite aus aufsteigen. Warum über diese Seite?

Weil mir meine kleine Erfahrung, die ich bei meinen vorherigen Versuchen am Everest machen konnte, eindeutig gezeigt hat, dass der Khumbu-Eisbruch wie Russisches Roulette ist. Die steileren Felsen und die Routenanlage an der Nordseite sind, abgesehen von einem Erdbeben, relativ statisch. Ich habe es lieber etwas abweisender, etwas „unfreundlicher“, aber eben verlässlicher, als die – neben den beschriebenen objektiven Gefahren – doch einfachere Route an der nepalesischen Seite zu nehmen.

Wie hast du dich auf die Expedition vorbereitet?

Mir kommt es langsam vor, dass mein ganzes Leben eine Vorbereitung auf so manche Prüfung ist. Viele davon konnte ich positiv abschließen, einiges ist mir nicht gelungen. Je älter ich werde, desto klarer wird mir, es geht gar nicht um die Anzahl der bestandenen Prüfungen. Es geht für mich immer mehr um diesen freien Geist, wie ihn heute fast nur noch die Kinder haben: einfach aufzubrechen, ohne Erfolgsgarantie in der Tasche. Zu diesem freien, unverdorbenen Aufbruchsgeist noch etwas Lebenserfahrung, etwas rationales Denken, das mir jetzt mit fünfzig Lebensjahren gegeben wurde, und dann fühle ich mich vorbereitet.

Andy Holzer in der Nordwand der Großen Zinne (Foto: Martin Kopfsguter)

Ganz pragmatisch noch die technische Antwort auf deine Frage: Meine Natur, mein Team, meine Freunde sind meine Basis. Wir sind ein eingespieltes Team, wie es wohl nur wenige haben können. Und das noch teils aus dem eigenen Dorf.

Wie seit 30 Jahren bin ich an rund 200 Tagen pro Jahr in den Bergen. Speziell jetzt im Winter haben wir sehr viele ausgedehnte Skitouren im Block ohne Ruhetage gemacht. Außerdem absolvieren wir ein Hypoxie-Programm. Jeder von uns schläft schon Wochen vor unserem Aufbruch zu Hause im Schlafzimmer in einem „Höhensimulationszelt“. Damit können wir nachts durch Sauerstoffentzug eine große Meereshöhe simulieren und den Körper schon anregen, rote Blutkörperchen zu bilden.

Bisher hat als blinder Bergsteiger nur der US-Amerikaner Erik Weihenmayer 2001 den Everest bestiegen – über die Südseite. Wie hoch schätzt du deine Chancen ein?

Ich kenne Erik seit Jahren, und wir sind lange Freunde geworden. Natürlich habe ich ihn über den Everest ausgequetscht. Aber in der Art, wie es Erik am 25. Mai 2001 mit seinem Team geschafft hat, werde und kann ich es nicht angehen. Damals stand ein ganzes Land hinter dem ersten Versuch eines Blinden am Everest. Erik hatte eine vielfache Zahl von Partnern, Freunden und Teammitgliedern an seiner Seite, die sich mit der Unterstützung abwechseln konnten. In unserem Fall können sich nur Wolfi und Klemens von Zeit zu Zeit abwechseln, um mir die Schwierigkeiten beim Auf- und Abstieg anzusagen. Beim Gipfelgang werden wir nur zu dritt jeweils mit unseren Sherpas den höchsten Punkt des Mount Everest anpeilen. Aber das heißt für mich nicht, dass wir geringere Chancen haben. Wir sind ein kompaktes Team, flexibel und schnell bei Entscheidungen. So denke und hoffe ich: Unsere Chance lebt ganz fest.

Du steigst mit Begleitern, mit Flaschensauerstoff. Viele rechnen für dieses Jahr mit einer Rekordzahl von Everest-Anwärtern, es könnte also voll werden auf den Normalrouten. Welche Taktik habt ihr euch überlegt?

Dies war auch noch ein kleinerer Grund, die Everest-Nordseite zu wählen. Dort werden es derzeit im Vergleich zur Südseite nur ca. ein Drittel an Permits ausgegeben. Aber mal ganz ehrlich: Wenn ich zum Everest gehe und mich dort dann über die zu vielen anderen Bergsteiger beklage, dann gehe ich am besten gleich wieder heim. Dann ist am Everest schon wieder einer weniger. 🙂

Andy 2011 an der Shishapangma

Es stimmt, wir werden beim Gipfelgang Flaschensauerstoff benutzen. Ich möchte den Berg der Berge so erleben, dass ich da oben auch noch etwas mitbekomme, dass ich vielleicht sogar noch etwas genießen kann und mich richtig freuen kann. Außerdem gibt uns der künstliche Sauerstoff ja überhaupt erst die Möglichkeit, gemeinsam im exakt selben Rhythmus aufzusteigen. Das wissen vielleicht zu wenige Menschen: Als Reinhold Messner und Peter Habeler 1978 als Erste ohne Flaschensauerstoff den Everest bestiegen und anschließend jeder für sich alleine abstiegen, hatte das nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit der Tatsache, dass der extreme Sauerstoffmangel in großer Höhe jedem Menschen seinen eigenen Geh- und Leistungsrhythmus aufzwingt. Gehst du einen Schritt zu schnell, dann erliegst du der Sauerstoffschuld. Gehst du einen Schritt zu langsam, vielleicht aus Rücksicht auf deinen Partner, erfrierst du da oben.

Sauerstoffmangel bedeutet in erster Linie nicht. dass man keine Luft bekommt, sondern vielmehr, dass die Erfrierungsgefahr extrem erhöht wird, weil der Körper weniger Sauerstoff für die „Eigenheizung“ bzw. Verbrennung zur Verfügung hat.

Everest-Nordseite im letzten Tageslicht

Wenn Wolfgang (oder Klemens) vor mir immer einen Tick langsamer gehen muss, weil ich viele Fehltritte korrigieren muss und deshalb langsamer bin, dann wird er es zu kalt und ich es zu heiß haben. Und wenn mein Partner vor mir sein eigenes Tempo gehen würde, dann würde sich der Abstand zwischen uns vergrößern. Bei mehr als ca. fünf Meter Abstand kann ich seine Steigeisen nicht mehr exakt hören und muss daher mein Tempo noch mal drosseln, weil ich selbst die Tritte suchen muss.

Aber für mich und meine „Buam“ ist das ja alles schon lange klar. Wir stellen uns auf ein vielleicht nicht weniger schwieriges Abenteuer ein, als den Berg ohne künstlichen Sauerstoff zu ersteigen. Wir versuchen, diesen großen Berg mit einer Person ohne Licht zu ersteigen. Und das verlangt aus meiner „Sicht“ enormes Zusammenhalten und Gefühl für den Anderen.

Warum überhaupt muss es der Everest sein? Was zieht dich dorthin?

Wenn du mehrfach ein Projekt geplant, finanziert hast und angegangen bist, bekommst du einfach einen großen Bezug zu diesem Projekt. Genauso geht es mir gemeinsam mit Wolfi und Klemens dort auch. Wir wissen natürlich, dass es so viele andere schöne Berge gibt, und, und, und … Aber den Everest dann wirklich zu besteigen, bedeutet ja nicht, dass man sich den zahllosen anderen schönen Bergen nicht ebenso nähern kann.

Datum

3. März 2017 | 10:08

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