Ein Sturz, der vieles änderte
Selten habe ich so viele verblüffte Menschen auf einem Fleck erlebt. Der Vortragssaal im Brixener Forum war gestern abend bis auf den letzten Platz gefüllt, als Steve House die Bühne betrat. Reinhold Messner adelte House einmal mit dem Lob, er sei der „derzeit beste Höhenbergsteiger der Welt“. 2005 hatte der US-Amerikaner mit seinem Landsmann Vince Anderson die Rupalwand am Achttausender Nanga Parbat, die mächtigste Fels- und Eiswand der Welt, erstmals im Alpinstil durchstiegen, also ohne Atemmaske, Fixseile und Hochlager.
Ein Mensch ist mehr als nur ein Bergsteiger
Die Besucher seines Vortrags beim International Mountain Summit erwarteten spektakuläre Bilder und Erzählungen von dieser und anderen extremen Expeditionen zu den höchsten Bergen der Welt.
Steve House, locker, aber alles andere als oberflächlich
Stattdessen forderte Steve House die Zuschauer auf, sich ein paar Minuten lang Gedanken darüber zu machen, ob man einen Menschen wirklich nur darüber definieren sollte, welche Leistungen er als Bergsteiger gebracht habe. Es folgte, während Steve schwieg, auf der Leinwand eine Auflistung von etwa 25 seiner bahnbrechenden Kletterpartien in den letzten 15 Jahren, begleitet nur von einigen wenigen Bildern.
Geteilte Meinung
Ausführlich schilderte Steve anschließend, wie er bei seinem Sturz am Mount Temple im vergangenen März dem Tod gerade eben so von der Schippe gesprungen war. Dieser Unfall habe sein Leben geändert, sagte Steve. Er wolle künftig mehr Wert auf die Beziehungen zu seinen Mitmenschen legen und sein Wissen über das Klettern an die nächste Generation weitergeben. Nach einer Stunde beendete House seinen Vortrag – ohne viele Worte über seine spektakulären Touren vor dem Sturz verloren zu haben.
Die Meinung im Publikum war geteilt. Die einen fanden es toll, wie offen Steve über seine Gedanken und Gefühle gesprochen hatte. Die anderen waren enttäuscht, weil sie sich um die erwartete akustische und optische Reise zu den Bergriesen des Himalaya und Karakorum betrogen fühlten.
Steve (2.v.l.) bei der Wanderung zum Astjoch
Vielleicht ein bisschen weniger intensiv
„Ich habe keine Anerkennung des Publikums finden oder Applaus ernten wollen“, erzählt mir Steve House heute bei unserer Wanderung im Pustertal zum Astjoch, einem 2194 Meter hohen Aussichtsberg mit einem beeindruckenden 360-Grad-Panorama. „In den letzten 15 Jahren habe ich mein Leben dem Klettern verschrieben. Aber meine Einstellung hat sich jetzt eben gewandelt. Und so wird es in den nächsten Jahren vielleicht ein bisschen weniger intensiv zugehen.“ Wir reden über seinen Sturz im Frühjahr, bei dem er dem Tod so nahe war, über den Verlust vieler Freunde, die in den Bergen ums Leben gekommen sind, und über seine Pläne für die Zukunft. (Diese Geschichte erzähle ich euch später.)
Dass Steve und Stefan mal einen Berg gemeinsam besteigen würden …
Zu 80 Prozent wiederhergestellt
Dass wir überhaupt gemeinsam auf einen kleinen Berg wie das Astjoch steigen können, grenzt fast schon an ein Wunder. Steves Brustkorb glich nach dem Unfall einem Trümmerfeld, die Lunge war kollabiert. „Ich bin jetzt bei 80 Prozent“, sagt der 40-Jährige, der inzwischen auch wieder geklettert ist. Die Ärzte haben ihm Hoffnung gemacht, dass er zwölf Monate nach seinem Sturz wieder vollständig hergestellt sein werde. Physisch. Und psychisch? Steve ist ein anderer als früher. Und er hat gestern in Brixen sicher nicht zum letzten Mal verblüffte Zuhörer zurückgelassen.
Das Panorama wollte ich euch nicht vorenthalten