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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Noch kein Licht am Ende des Tunnels

Erdbeben-Wunden in Chautara

Erdbeben-Wunden in Chautara

Chautara wirkt, als hätte das verheerende Erdbeben hier erst vor kurzem zugeschlagen, nicht vor knapp elf Monaten. Gut 15.000 Menschen leben in der Stadt auf 1500 Metern Höhe, dem Verwaltungssitz des vom Beben am 25. April letzten Jahres besonders hart getroffenen Distrikts Sindhupalchowk. Auf der Hauptstraße zeugen immer noch viele Häuserruinen von der Katastrophe, die mehr als 3500 Menschen der Bergregion das Leben kostete. In vielen Dörfern stürzten rund 90 Prozent der Häuser ein. Die Aufräumarbeiten kommen nur schleppend voran. Zu schwer sind die Wunden, die das Erdbeben gerissen hat, nicht nur an den Gebäuden, sondern auch bei den Bewohnern der Stadt. „Wir haben hier immer noch große medizinische Probleme“, erzählt Ärztin Sabina Parajuli. „Jene, die sich damals verletzt haben, sind immer noch nicht vollständig genesen, sondern haben Probleme, vor allem an den Gliedmaßen. Sie wurden damals operiert und sind immer noch nicht in der Lage, wieder ihr normales Leben zu führen. Oft waren sie die einzigen, die für das Einkommen der Familie sorgten. Jetzt verdienen sie nichts. Und ihre Angehörigen sind damit beschäftigt, sich um sie zu kümmern.“ Außerdem breiteten sich infektiöse Krankheiten wie Erbrechen oder Durchfall schnell aus, weil in den Notunterkünften sehr viele Menschen auf engstem Raum leben.

Immer noch eine Zeltklinik

Notfallambulanz im Zelt

Notfallambulanz im Zelt

Sabina arbeitet im Krankenhaus von Chautari. Das große Gebäude wurde bei dem Beben so stark beschädigt, dass es ohne aufwendige Reparaturarbeiten nicht genutzt werden kann. Deshalb arbeiten Sabine und ihre Kollegen immer noch überwiegend in Zelten auf dem Gelände der Klinik. Nur ein kleines Gebäude mit einem Büro und einem Behandlungsraum wurde nach dem Beben neu gebaut.„Einige der Zelte sind durch die starken Winde in der letzten Zeit zerstört worden“, berichtet die 25-Jährige.

Die Ärzte behandeln nicht nur körperliche Leiden, sondern auch psychische. „Viele leiden unter post-traumatischen Störungen. Sie haben schon vor den kleinsten Dingen Angst, haben Schlaf- und Essstörungen.“ Einige seien hochgradig depressiv, weil sie Familienangehörige, ihr Haus oder das gesamte Eigentum bei dem Beben verloren hätten. Und dabei kämen nur etwa 30 bis 40 Prozent der psychisch Erkrankten überhaupt ins Krankenhaus, schätzt Sabina Parachuli: „In unseren Dorfgemeinschaften sind psychische Erkrankungen stigmatisiert, die Erkrankten werden häufig diskriminiert.“ Zudem seien sich viele gar nicht bewusst, dass sie an einer Krankheit leiden und dass diese geheilt werden könne.

Politik, Politik, Politik

Sabina Parachuli versorgt einen jungen Patienten

Sabina Parachuli versorgt einen jungen Patienten

Mit der Regierung ist die Ärztin, wie eigentlich alle, mit denen ich in Sindhupalchowk gesprochen habe, alles andere als zufrieden. „Eigentlich müsste sie uns so schnell wie möglich helfen. Doch die Regierung macht nur Politik, Politik, Politik, anstatt dort anzupacken, wo es nötig ist.“ Deshalb komme die Hilfe nur sehr schleppend auf Touren und es gebe kaum Fortschritte. „Wir setzen keine Hoffnung mehr auf die Regierung. Wir versuchen einfach, selbst unser Bestes zu geben.“

Für die Ärzte im Krankenhaus von Chautara bedeutet das nach wie vor, bis an die Belastungsgrenze zu arbeiten. In den ersten Wochen nach dem Beben war Sabina fast rund um die Uhr im Einsatz. „Natürlich waren wir müde. Aber diese Menschen waren verletzt und viel gestresster als wir. Sie brauchten unsere Hilfe“, sagt die junge Ärztin. „Niemand hat mich dazu gezwungen, außer mein Herz. Ich tat es auch für mein Dorf Sangachok und die Menschen dort. Es war meine Möglichkeit, ihnen zu dienen.“

Hoffen auf die gerade Strecke

Leben im Wellblechschuppen

Leben im Wellblechschuppen

Nach wie vor gibt es Nachbeben in der Region. Die Menschen fürchten, dass sich ein weiteres, womöglich noch schwereres Beben wie jenes im April 2015 ereignen könnte. Von Normalität könne im Distrikt Sindhupalchowk noch keine Rede sein, sagt Sabina: „Natürlich gibt es ein Licht am Ende des Tunnels. Aber der Tunnel iverläuft nicht gerade, sondern hat Kurven. Deshalb können wir das Licht heute noch nicht sehen. Das können wir erst, wenn wir an die Stelle kommen, wo der Tunnel gerade wird. Diesen Punkt haben wir noch nicht erreicht, aber ich hoffe, dass wir es sehr bald schaffen werden.“

Datum

15. März 2016 | 18:40

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