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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Russells offene Worte

Gefährlicher Khumbu-Eisbruch

Eingepackt und weg! Der Neuseeländer Russell Brice, der wohl erfahrenste Veranstalter von Expeditionen zum Mount Everest, hat seine Zelte am höchsten Berg der Erde abgebrochen. „Die Gefahr liegt deutlich über dem, was ich verantworten kann“, sagt der 59 Jahre alte Chef des Veranstalters Himalayan Experience, der seit 1974 Expeditionen in den Himalaya führt. Schon zu Beginn der Saison hätten die Sherpas erklärt, dass es im Basislager zu warm sei. „Sie arbeiteten in T-Shirts.“ Inzwischen hätten sich dort kleine Seen gebildet.

Zu lange in der Gefahrenzone

Die hohen Temperaturen, so Brice, hätten vor allem die Gefahr im Khumbu-Eisbruch erhöht. „Die Sherpas berichteten immer wieder, das ‚Popcorn-Gebiet’ (eine gefährliche Zone unterhalb brüchiger Eistürme, so genannter Seracs) sei in diesem Jahr aktiver.“ 2011 seien die Trümmer vom Westgrat noch in eine tiefe Spalte zwischen dem Gletscher und dem Berg gefallen. In diesem Jahr sei der Bergschrund jedoch gefüllt. „Es gibt keinen Schutz.“ Russell hat die Zeiten seiner Expeditionsmitglieder gestoppt, die sie brauchten, um die gefährliche Zone zu durchqueren. Sein schnellster Bergführer, Adrian Ballinger, benötigte 22 Minuten, die Sherpas mit ihren schweren Lasten eine halbe Stunde und die meisten zahlenden Kunden zwischen 45 Minuten und einer Stunde. „Meiner Meinung nach ist das viel zu lang bei einem so hohen Risiko. Und wenn ich sehe, dass rund 50 Bergsteiger unterhalb der Wand unterwegs sind, wird mir Angst und Bange.“

„Die Brocken werden wieder fliegen“

Steinschlag in der Lhotse-Flanke (vorne), Lawinengefahr am Nuptse (hinten)

Auch weiter oben am Berg müssen die Everest-Anwärter laut Brice kaum kalkulierbare Risiken eingehen. Zwei seiner Kunden und ein Bergführer wären um ein Haar in eine ungewöhnlich große Eislawine geraten, die sich vom Nuptse gelöst habe. In der Lhotse-Flanke seien mehrere Bergsteiger durch Steinschlag verletzt worden. „Einige warme Tage mehr, dazu starke Windböen, dann werden wir die Felsbrocken wieder fliegen sehen.“ Zu viel des Schlechten, findet Russell. Der Neuseeländer verweist auch auf die Springflut am Fluss Seti im Annapurna-Gebiet, nach der inzwischen 27 Tote geborgen wurden und mehr als 40 Menschen immer noch vermisst werden. „Es gibt einfach zu viele Anzeichen, dass in dieser Saison das Wetter nicht passt.“

Vorbeigelaufen

1988 hatte Brice mit dem Briten Harry Taylor die so genannten „Three Pinnacles“ , drei Felsspitzen auf dem Everest-Nordostgrat, erstmals in Serie bestiegen. 2006 war der Neuseeländer als Expeditionsleiter auf der tibetischen Nordseite des Bergs heftig kritisiert worden, weil seine Kunden auf dem Gipfelgrat am sterbenden Briten David Sharp vorbeigelaufen waren. Per Funk hatte Russell einem Teammitglied gesagt: „Kumpel, du kannst nichts machen. Er hat dort x Stunden ohne Sauerstoff gelegen. Er ist definitiv tot. Das Problem ist, dass es auf 8500 Metern extrem schwer ist, selbst am Leben zu bleiben. Lass ihn allein und sorge dafür, dass die anderen weiterleben!“

Datum

10. Mai 2012 | 17:25

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