More DW Blogs DW.COM

Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Der deutsche Forrest Gump

Robby Clemens bei seinem "World Run" 2007

Clemens bei seinem „World Run“ 2007

Forrest-Gump-Darsteller Tom Hanks hat versprochen, ein Stück mitrennen, die laufbegeisterte US-Sängerin Pink ebenfalls. Robby Clemens hat schon mit seiner Ankündigung, vom Nordpol ingesamt 25.000 Kilometer weit bis zum Südpol zu laufen, für Schlagzeilen gesorgt. Im April will der 53-Jährige vom Nordpol aus mit Skiern und Schlitten aufbrechen. Der erfahrene Norweger Borge Ousland soll ihn zunächst durch die Arktis bis an die Südspitze Grönlands führen.Von dort will Robby nach Kanada fliegen, um anschließend Nord- und Südamerika laufend zu durchqueren. Dort wird ihn sein Team mit dem Auto begleiten. Wenn alles so klappt, wie es sich der Langstreckenläufer aus Höhenmölsen in der Nähe von Leipzig vorstellt, wird er nach etwa zwei Jahren am Südpol eintreffen. 2007 umrundete Clemens laufend die Welt, in 311 Tagen über mehr als 13.000 Kilometer durch 27 Länder auf vier Kontinenten. Über 30 Paar Schuhe hat er dabei verschlissen. Die Nase vom Laufen hatte er danach immer noch nicht voll, ganz im Gegenteil. Ich habe mit Robby darüber gesprochen, was ihn antreibt. Lest (und hört) selbst:

Robby, man nennt dich den deutschen Forrest Gump. Warum?

Weil ich immer unheimlich viel laufe. Wobei diese Passion bei mir ziemlich spät gekommen ist. Aber jetzt eben umso mehr. Für mich ist Laufen ein Lebenselixier. Deshalb betrachte ich es nicht als Anstrengung, sondern ich genieße einfach jeden Meter, den ich unterwegs sein darf. Deshalb erweckt es den Anschein, dass ich extrem bin. Forrest Gump ist ja auch ständig unterwegs gewesen. Und deshalb assoziiert man das einfach mit mir.

Robby Clemens

Robby Clemens

Und du hast auch wie Gump einen Lebenslauf mit gewissen Brüchen.

1986, zu DDR-Zeiten habe ich mich selbständig gemacht. Ich übernahm von einem alten Klempner-Meister einen Betrieb. Dann kam die Wende. Wir expandierten, ich hatte über 100 Beschäftigte und war einer der größten Arbeitgeber in der Region. In Leipzig gab es jemand, der große Aufträge erteilte, der hieß [Jürgen] Schneider. Das Ende vom Lied war die erste Milliardenpleite für ihn und für uns eine Millionenpleite. 2,2 Millionen D-Mark waren weg. Ich habe meine Eltern überredet, für diese Schulden zu bürgen. Wir sind dann völlig abgestürzt. Die totale Pleite. Meine Eltern haben durch mich alles verloren. Das muss man sich mal vorstellen: Ich hatte 40 Jahre Arbeit meiner Eltern vernichtet. Trotzdem standen sie immer hinter mir.

Ich wollte das alles vergessen machen und begann zu trinken. Immer mehr, ich wurde süchtig. Nebenbei rauchte ich noch drei, vier Schachteln Zigaretten. Ich wog 125 Kilo. Mein Hausarzt sagte mir eines Tages: Wenn du weiter so viel säufst, wirst du krepieren. Das hat irgendetwas in mir ausgelöst. Ich habe mir Laufschuhe gekauft und bin losgerannt. Ich dachte, ich laufe im heimischen Stadion eine Runde. Doch ich habe nicht einmal eine halbe geschafft. Aber dann bin ich jeden Morgen wieder dorthin gegangen und bin gerannt. Mit dem Loslaufen habe ich auch aufgehört zu trinken. Kein Tropfen Alkohol mehr, keine Zigarette. Nach einem Dreivierteljahr wog ich nur noch 80 Kilogramm. Entscheidender aber war, dass ich wieder denken konnte. Ich habe mir mit dem Laufen Träume erfüllt: erst kleine, ein Fünf-Kilometer-Lauf, dann zehn Kilometer, Halbmarathon und dann nach zwei Jahren ein Marathon. Als ich damals in Hannover den Zielstrich erreichte, habe ich geheult. Es war ein Wahnsinnserlebnis. Das Laufen hat mir ein neues Leben geschenkt.

Robby Clemens: Wie ich zum Läufer wurde

Du bist dann 2007 um die Welt gerannt, insgesamt über 13.000 Kilometer weit. Wurde damals die Idee geboren, auch von Nord nach Süd zu laufen?

Bei der Weltumrundung selbst noch nicht. Aber du erreichst das Ziel völlig glücklich und bemerkst plötzlich: Das Rennen war ja schön, aber wie schaffe ich es jetzt, auch mental anzukommen. Die psychologische Bedeutung des Ankommens hatte ich total unterschätzt. Bei so einer Tour sind 80 Prozent Kopf und nur 20 Prozent Körper. Ich brauchte professionelle Hilfe, um aus diesem Loch wieder herauszukommen. Ich war völlig am Boden. Nach vielen Gesprächen mit einer Sportpsychologin war klar: Ich brauche ein neues Ziel. Um die Erde herum war ich schon gelaufen. Jetzt also von Nord nach Süd. Das war das neue Ziel, das mich sehr schnell aus dieser psychologischen Misere herausgebracht hat.

2007 in Indien

Immer schön schlurfen

Wie schafft der Körper das, wenn man – abgesehen von den Strecken im ewigen Eis – jeden Tag einen Marathon laufen will?

Ich bin immer noch ein Amateur. Ich versuche aber zumindest, meinen Körper jedes Mal besser kennenzulernen. Bei so einer Tour verschiebst du ja deine psychologische und physische Leistungsgrenze immer um ein Stück weiter. Für mich ist aber entscheidend, dass ich nicht Kilometer zähle und nicht auf die Uhr sehe. Stattdessen rede ich mit den Leuten an der Strecke, genieße die Landschaft. Selbst an einem tristen, grauen Tag ist es für mich ein absoluter Wahnsinn, dort laufen zu dürfen. Deshalb ist es für mich keine Anstrengung, sondern nur ein gelebter Traum.

Entscheidend ist natürlich auch der Laufstil. Die so genannte Prallkraft entsteht, wenn du beim Laufen abhebst und dann wieder mit dem Fuß aufkommst. Jemand hat mal gemessen, dass sich bei einem Marathon diese Prallkraft auf ein paar Tonnen summiert. Die möchte ich nicht kompensieren müssen. So entstehen Verletzungen. Ich versuche, so wenig wie möglich von der Erde abzuheben, eher zu schlurfen, zwischen sieben und neun Stundenkilometer schnell. Und ich mache keine großen raumgreifenden Schritte. Dieser sehr effektive Laufstil minimiert die Verletzungsgefahr.

Robby Clemens: So minimiere ich die Verletzungsgefahr

Trotzdem werden die Gelenke und Bänder extrem belastet, wenn du jeden Tag läufst. Wie groß ist die Gefahr, dass du an einen Punkt kommst, wo die Schmerzen so groß sind, dass du aufhören musst?

Man sollte auf seinen Körper hören. Und der signalisiert: Kollege, das war zu viel, tritt mal kürzer! Natürlich rennt man in diesem Augenblick weiter, aber zwei, drei Tage später stellt sich eine Entzündung ein, am Schienbeinmuskel, von allen Läufern gefürchtet, oder an der Achillessehne. Dann weißt du: Hätte ich lieber mal auf meinen Körper gehört! Hast du aber nicht, also musst du es ausbaden und zwei oder drei Tage Pause machen. Mittlerweile habe ich die Abläufe so verinnerlicht, dass ich genau weiß, wann ich kürzer treten muss. Ich nehme keine chemischen Medikamente. Das passt für mich mit der Ausdauerleistung nicht zusammen. Ich versuche, mit ganz normalen Mitteln die Entzündungen in den Griff zu bekommen.

Ernährst du dich auf besondere Weise?

Im Training schon, aber wenn ich unterwegs bin, überhaupt nicht. Das geht nicht. Du musst dich dann von dem ernähren, was du hast. Da kann es passieren, dass du monatelang nur gekochten Reis, Nudeln oder Kartoffeln isst. Ich bin ja nicht auf einer kulinarischen Reise, sondern ich will mein Ziel erreichen. Ich will vom Nordpol loslaufen und, sofern es klappt, nach zwei Jahren den Südpol erreichen. Es ist wie beim Auto: Tankdeckel auf, Benzin rein, weiterfahren. So stopfe ich mir Kohlenhydrate in den Mund und weiß: Das reicht, und ich kann weiterlaufen.

Robby Clemens: Besondere Ernährung?

Das Laufen auf dem Eis ist für dich aber auch Neuland.

Völliges Neuland. Wir trainieren das schon eine ganze Zeit lang. Ich umgebe mich Leuten, die sich in dem Gebiet auskennen, z.B. aus Norwegen. Sie geben mir Ratschläge, wie ich trainieren muss, wenn ich den Pulka [Schlitten] ziehen will, welche Ski ich nehmen, welche Sachen ich anziehen sollte.

2007 am Taj Mahal

2007 am Taj Mahal

Leute, die extrem unterwegs sind, wissen, dass es hauptsächlich Kopfsache ist. Du musst dich immer wieder motivieren, den inneren Schweinehund überwinden. Gibt es nicht auch einmal einen Hänger, wenn man zwei Jahre lang unterwegs ist?

Das kann schon sein. Aber genau das sind die Dinge, die ich seit zwei Jahren mit der Sportpsychologin Tanja Schuck in Leipzig trainiere. Wie komme ich über den Hänger hinweg? Etwa durch Visualisieren. Ich halte mich gerne an der Ostsee auf. Deshalb habe ich auf meinem MP3-Player Geräusche von der Ostsee, die ich dann abspiele. In Kanada oder den USA, wo es nicht mehr so sehr auf das Gewicht ankommt, habe ich Düfte dabei, z.B. von einer Meeresbrise, wie an der Ostsee. So visualisiere ich selbst in den schwierigsten Situationen schöne Momente, an die ich nur positive Erinnerungen habe. Mit diesen psychologischen Mitteln, die ich mir erarbeitet habe, können schlechte Tage wieder zu guten werden.

Ist es für deine Familie kein Problem, wenn du zwei Jahre lang weg bist?

Im Endeffekt trenne ich mich nicht von der Familie. Bei der Weltumrundung ging es nicht anders. Aber jetzt begleitet mich ab und zu meine Frau. Natürlich nicht in den gefährlichen Regionen, am Nordpol und in Grönland, aber ab Kanada. Sie wird drei, vier Monate dabei sein und dann wieder einen Monat zu Hause nach dem Rechten sehen. Mein Sohn gehört sowieso zum Team und ist öfter dabei. Sogar meine bald sieben Jahre alten Enkel werden ein Stück mit mir rennen. Wir sind als Familienunternehmen unterwegs. Das gibt mir die Kraft, dies zu tun. Ich habe ganz liebe Menschen um mich, die im Endeffekt ein bisschen Heimat suggerieren.

Robby Clemens: Wir sind ein Familienunternehmen

P.S. 2012 lief der Australier Pat Farmer als erster Mensch vom Nord- zum Südpol, in neun Monaten, auf einer anderen, etwas kürzeren Route als jener, die Clemens jetzt plant. Wenn Robby aufbricht, werde ich immer wieder mal Kontakt zu ihm aufnehmen und über seinen Lauf zwischen den Polen berichten.

Update 4.2: Robby Clemens hat mich heute darüber informiert, dass er den Start seines Projekts „Zu Fuß vom Nordpol zum Südpol“ um ein Jahr auf April 2016 verschoben hat. Diese Entscheidung sei gestern gefallen. Gründe seien vor allem organisatorische.

Datum

3. Februar 2015 | 18:13

Teilen