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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Destivelle: „Verrückt, was am Everest passiert“

Catherine Destivelle

Sie sieht deutlich jünger aus, als sie ist (53 Jahre). Und ihre Augen glänzen, wenn sie übers Klettern spricht. Vor 20 Jahren war die Französin Catherine Destivelle ein Star der Kletterszene: Unter anderem durchstieg sie die klassischen Nordwände von Eiger, Matterhorn und Grande Jorasses – solo und im Winter. Den Nameless Tower, einen beeindruckenden Granitzapfen von über 6000 Metern im Karakorum, kletterte sie frei. (Wenn ihr einen Eindruck ihres Kletterstils gewinnen wollt, seht euch unten das Video an!) Nach der Geburt ihres Sohnes Victor 1997 trat sie als Kletterin deutlich kürzer. Ich sprach mit Catherine – wie berichtet – bei einer Wanderung während des International Mountain Summit (IMS) in Brixen in Südtirol.

Catherine, kletterst du immer noch?

Ja, zwar weniger, aber ich klettere noch. Ich mag es. Wenn ich Zeit habe oder Urlaub, klettere ich mehrere Male in der Woche.

Als du deine großen Routen geklettert bist, in den 1980ern und am Beginn der 90er Jahre, warst du eine Pionierin des Frauenkletterns. Was hat sich seitdem geändert?

Ich denke, es ist eine ganz normale Entwicklung: Die Kletterinnen von heute sind besser als zu unseren Zeiten, weil sie seit ihrer Jugend trainieren. Klettern ist ein richtiger Sport geworden. Zu meiner Zeit begann es gerade erst, ein Sport zu werden, war es aber noch nicht wirklich.

Denkst du, dass es junge Frauen heutzutage einfacher haben, Profikletterinnen zu werden?

Da bin ich mir nicht sicher. Es gibt viele Kletterinnen, vielleicht ist es deshalb sogar schwieriger. Zu meiner Zeit gab es nur ein paar, etwa eine Spitzenkletterin pro Land. Deshalb war es damals möglicherweise sogar einfacher, vom Klettern zu leben.

Catherine Destivelle: Vielleicht ist es heute sogar schwieriger

Verfolgst du noch das Geschehen im Himalaya?

Ich weiß immer noch, was dort los ist, aber ich träume nicht davon. Ich bin schon ein bisschen neidisch, weil ich nicht so lange fortbleiben kann. Aber eines Tages werde ich mir wieder die Zeit nehmen, in den Himalaya zurückzukehren und dort ein paar kleine Klettertouren zu machen.

Du bist bereits in den 1990ern dort geklettert. Du warst am Makalu, der Shishapangma – und auch an der Annapurna-Südwand. Gerade vor zwei Wochen ist Ueli Steck durch diese Wand geklettert, solo, die Nacht hindurch, in 28 Stunden hinauf und wieder herunter. Was hältst du von dieser Leistung?

Ich denke, schnell zu sein, ist die sicherste Art, im Himalaya zu klettern. So verlierst du nicht die ganze Kraft und bleibst auch im Kopf klar (lacht). Erhard Loretan hat es genauso gemacht. Er kletterte auch sehr schnell in großer Höhe.

Als du im Himalaya in den 90er Jahren auf Expedition warst, waren dort nur wenige Kletterer unterwegs. Seitdem hat sich viel geändert, vor allem am Everest.

Dem Everest bin ich nie nachgelaufen, weil ich eher technische Routen bevorzugte. Das waren die Klettereien, die ich mochte. Aber technische Routen in großer Höhe zu klettern, ist sehr gefährlich. Davor hatte ich Angst. Ich wollte kein Risiko eingehen. Deshalb entschied ich mich, einen Bogen um die ganz hohen Berge zu machen. Zu dieser Zeit war es für mich uninteressant, den Everest über die Normalroute zu besteigen. Heute sind dort zu viele Leute. Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob ich eines Tages dorthin gehen werde (lacht). Es ist doch verrückt: Nur weil es der Everest ist, geht jeder dorthin. Sie wissen nicht einmal, wie man klettert und sind unfähig, Probleme am Berg zu lösen. Sie brauchen Fixseile und haben keine Ahnung, wie man sich seilfrei bewegt. Wenn dann eine Lawine abgeht oder ein Eisblock zusammenbricht, wie 2012 am Manaslu, geschieht gleich eine große Katastrophe. Vor ein paar Jahren war es am K 2 genauso. Kletterer verloren ihr Leben, weil sie keine wirklichen Alpinisten waren. Ich denke, es ist echt gefährlich, wenn zu viele Menschen an einem hohen Berg unterwegs sind.

Catherine Destivelle: Zu viele Leute am Everest

Warum hast du Mitte der 90er Jahre mit dem extremen Klettern aufgehört? War es dein schwerer Kletterunfall in der Antarktis, bei dem du dir einen offenen Bruch deines Beins zugezogen hast?

Nein, es war nicht der Unfall. Ich wollte einfach ein Kind haben (lacht). Victor. Ich zog es vor, für ihn zu sorgen. Ich bin wie eine Glucke, will meinen Sohn nicht alleine lassen. Ich mag es lieber, meine Tage mit ihm zu teilen. Ich klettere immer noch, aber ich möchte sicherstellen, dass mein Sohn glücklich ist. Das ist für mich das Wichtigste. Ich reise auch mit ihm, aber er steht nicht so aufs Klettern. Deshalb fahre ich mit ihm ans Meer (lacht). Kitesurfen und solche Sachen.

Welchen Rat würdest du jungen Kletterern, besonders Frauen, geben?

Du musst es mögen und deinen Instinkten folgen! Sei glücklich, dann hast du auch eine Chance, darin gut zu sein! Wenn du sehr gut werden willst, trainiere viel! Treffe dich mit sehr erfahrenen Leuten, um dich inspirieren zu lassen und nimm ihren Rat an!

Catherine Destivelle: Du musst es mögen und deinem Instinkt folgen!

Und was ist mit Mut?

Du brauchst keinen Mut zu haben, wenn du es magst (lacht). Du hast doch deine Leidenschaft. Du musst trainieren und dich auf das Klettern fokussieren, wenn du Erfolg haben willst. Das ist alles. Mut ist etwas anderes. Für mich bedeutet mutig sein zum Beispiel, sein Leben für eine Idee zu riskieren.

Datum

24. Oktober 2013 | 15:11

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