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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Gesehen: Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance

Kinoplakat-Cerro-TorreSonntag, 11.3o Uhr gehe ich normalerweise nicht ins Kino. Doch ich hatte keine Alternative. Bei uns am Rhein musst du schon froh sein, wenn eine Bergdoku überhaupt den Weg in die Kinosäle findet. Zwei Vorteile hatte der Termin zur Frühschoppenzeit: Der Werbeblock vor dem Film fiel ultrakurz aus, und ich konnte mir den Platz aussuchen. Immerhin aber zählte ich außer mir 22 Bergfreunde – angesichts der frühen Stunde und des Filminhaltes setze ich voraus, dass alle Anwesenden ein großes Herz für Berge hatten. Der Film dokumentiert die erste freie Begehung der so genannten „Kompressor-Route“ am Cerro Terro durch David Lama und Peter Ortner im Januar 2012.

Kompressor in der Wand

Der 3128 Meter hohe Granitberg in Patagonien galt in frühen Tagen als „unmöglicher Berg“, nicht kletterbar. Bis 1959 der Italiener Cesare Maestri und der Österreicher Toni Egger kamen. Maestri behauptete, er und sein Gefährte hätten über die Nordwand den Gipfel erreicht. Egger stürzte beim Abstieg in den Tod. Experten bezweifelten, dass die beiden wirklich oben waren. 1970 gab Maestri eine fast surreale Antwort: Mit Hilfe eines Kompressors bohrte er sich die Südwestwand hinauf und ließ das Gerät unterhalb des Gipfels hängen. Bis heute gilt der Kompressor in der Wand des Cerro Torre als Sinnbild für Kletterer, die sich einen Dreck um die Natur scheren.

Übel beschimpft

„Du hast nicht den Hauch einer Chance“, gibt der legendäre US-Freikletterer Jim Bridwell zu Beginn des Films David Lama mit auf den Weg. Der Österreicher will Maestris Route erstmals komplett frei klettern, Seile und Haken also nur nutzen, um sich abzusichern. Bei seinem ersten Versuch 2010 bezahlt der damals 19-Jährige doppeltes Lehrgeld. Weit kommt Lama nicht und wird anschließend auch noch übel beschimpft, weil das Filmteam Haken in die Wand gebohrt hat. So wie einst Maestri. Geläutert kehrt David ein Jahr später zum Cerro Torre zurück. Diesmal erreichen Lama und sein Partner Ortner kurz vor Ende der Expedition zwar noch in einem Gewaltakt den Gipfel, klettern dabei aber technisch, nicht frei. Das gelingt ihnen schließlich im dritten Anlauf Anfang 2012.

Berg als Lebensschule 

Ich finde es spannend, im Film zu beobachten, wie sich David über die drei Jahre als Bergsteiger und Mensch weiter entwickelt. Er geht nicht nur durch die Stürme Patagoniens, sondern auch durch jene der Kritik, die nach dem ersten Versuch über ihn hereinbricht. Der Cerro Torre wird für Lama zur Lebensschule. David ist nicht länger das Kletter-Wunderkind, das Peter Habeler einst entdeckt hat. Er findet seinen eigenen Weg und damit zu sich.

Feuchte Finger

Die Film-Aufnahmen sind atemberaubend. Vom Hubschrauber aus weitet sich der Blick auf die faszinierende Landschaft Patagoniens. Als winzige Figuren verschwinden die Kletterer in der senkrechten Wand. Im nächsten Augenblick sind wir wieder mittendrin. Dank Helmkamera meistern wir mit David quasi hautnah die Schlüsselstellen. Eigentlich hätte ich als Zuschauer auch in den Kreidebeutel greifen müssen, meine Hände waren feucht geschwitzt. Den Anblick des nackten Peter Ortner auf dem Gipfel hätte ich nicht gebraucht. Viel mehr hätte mich am Ende interessiert, was Jim Bridwell nach David Lamas Husarenstück am Cerro Torre gesagt hat. Alles in allem hat mich der Film aber gepackt und war ein mehr als vollwertiger Frühschoppen-Ersatz.

P.S. Im Sommer versuchen sich David Lama und Peter Ortner zusammen mit ihrem österreichischen Landsmann Hansjörg Auer im Karakorum an der Nordostwand des 7821 Meter hohen Masherbrum. Das wird mindestens genauso spannend wie ihr Projekt am Cerro Torre!

David Lama über das Projekt Masherbrum-Ostwand

Datum

24. März 2014 | 17:22

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