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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Gelesen: Jenseits des Berges

Besser als Steve House hätte ich es nicht auf den Punkt bringen können: „Eine große alpinistische Unternehmung hat alles, was zu einer guten Geschichte gehört: ein würdiges Ziel, Einsatzbereitschaft und Hingabe, Krise, Kampf und Entschluss.“

Der 40 Jahre alte US-Amerikaner liefert seit Jahren Stoff für gute Geschichten. Denn Steve House ist einer der besten Bergsteiger der Welt. So durchstieg er mit seinem Seilpartner Vince Anderson 2005 die mächtige Rupalwand am Achttausender Nanga Parbat in Pakistan erstmals im Alpinstil, also ohne Atemmaske, Hochträger und Lagerkette. Völlig zu Recht erhielten die beiden dafür den Piolet d’Or, den Goldenen Eispickel, den „Oscar“ der Profibergsteiger.

“Fixseile und Lager sind eine Katastrophe“

Immer wieder taucht der Nanga Parbat in Steves preisgekröntem Buch „Beyond the mountain“ auf, das jetzt in deutscher Übersetzung („Jenseits des Berges“) erschienen ist. Schon als 19-Jähriger versuchte sich House als Mitglied einer slowenischen Expedition an dem Achttausender – vergeblich. Damals schrieb er in sein Tagebuch: „Ich muss so gut werden, dass ich keine Fixseile mehr brauche. Was für eine Katastrophe die Fixseile und die Lager sind!“ House setzte seinen Schwur um, trainierte wie ein Besessener und sorgte bald für Furore.

Erfrischend offen

Steve macht keinen Hehl daraus, dass er die Lobeshymnen auch genossen hat. Mehr noch: „Auf meinem Tiefpunkt habe ich die Leistungen anderer kritisiert, um mich selbst zu erhöhen“, räumt House ein. „Auch diese negativen Dinge gehören zu der Person, die ich heute bin.“ Nicht nur an dieser Stelle wirkt der US-Bergsteiger erfrischend offen. Nichts wird schöngeredet, nichts verklärt. „Ich überwinde meinen Stolz und hänge mich in die nächste alte Eisschraube ein, die ich entdecke“, schreibt House etwa in einer Passage über den Abstieg vom Nanga Parbat.

An so viel Ehrlichkeit sollten sich manche schreibenden Bergsteiger ein Beispiel nehmen. „Diese Geschichten sind keine Märchen. Es sind die Gedanken und die Taten eines fehlbaren Menschen und seiner sehr menschlichen Partner“, resümiert Steve House am Ende seines Buchs. „Im schmalen Rahmen des Alpinismus streben wir nach Transzendenz und suchen nach dem, was uns auf ebener Erde verborgen bleibt: unser wahres Ich.“ Das Buch von Steve House kann ich euch nur wärmstens ans Herz legen. Und so viel sei verraten: der Epilog gehört zum Besten, was ich seit langem aus der Feder eines Bergsteigers gelesen habe.

Carpe diem

Als treue Leser meines Blogs werdet ihr euch erinnern, dass Steve House Ende März mit sehr viel Glück und einigen schweren Verletzungen einen 25-Meter-Sturz am Mount Temple in den kanadischen Rockies überlebt hat. Inzwischen klettert er wieder. „Carpe diem (lat. Nutze den Tag) ist nicht länger nur ein Ausruf bei einer Studenten-Party“, schreibt Steve in seinem Blog. „Heute, das bedeutet alles.“

Datum

27. September 2010 | 13:07

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