Nicht auf der Dopingliste
Ich musste heute an Marcel Wüst denken. „Glaubst du eigentlich, nach einer schweren Bergetappe der Tour de France könnten wir am nächsten Tag wieder Gas geben, als wäre nichts gewesen?“, fragte mich der frühere deutsche Radprofi irgendwann Ende der 1990er Jahre. „Eigentlich bräuchten wir dringend einen Ruhetag. Aber den bekommen wir nicht. Also müssen wir nachhelfen, nach dem Motto: Erlaubt ist, was nicht auf der Dopingliste steht.“ Heute fühlte ich mich wie nach einer Bergetappe. Der gestrige Tag mit 186 Kilometern steckte mir in den Knochen. Meine Beine waren schwer, ich quälte mich mit meinem Faltrad weiter den Rhein flussabwärts.
Gegenwindchen
Die ersten zehn Kilometer – erfahrungsgemäß sind sie immer die schwierigsten des Tages, weil der Körper erst einmal in Schwung kommen muss – begleitete mich meine Frau. Das lenkte mich ab und ich hörte nicht so in mich hinein. Hinter Leverkusen radelte ich jedoch wieder allein, auf der linken Rheinseite. Es war frisch, aber trocken. Ich hatte sehr schnell das Gefühl, nie und immer an diesem neunten Tag meiner Spenden-Radtour „School up! River down!“ in denselben „Flow“ zu geraten, der mich am Vortag von Bingen bis Köln getragen hatte. Der Tiefpunkt ereilte mich irgendwo zwischen Neuss und Duisburg. Der Wind war, verglichen mit dem, was ich vergangene Woche im Südwesten Deutschlands erlebt hatte, eher ein laues Lüftchen, aber dieses kam eben von vorne und bremste mich. Ich hatte wenig Reserven, um dagegenzuhalten.
Kaffee und Korn
So war ich beinahe froh, als ich die Industrieanlagen von Krefeld und später dann Duisburg erreichte, die den Wind abschirmten. In Alt-Homberg, einem Vorort Duisburgs, beschloss ich, mich in einer Bäckerei mit einem Kaffee zu stärken. Koffein steht schließlich nicht (mehr) auf der Dopingliste. Während die Maschine den Kaffee brühte, erzählte die Verkäuferin von einer Fahrradtour, die sie vor vielen Jahren mit einem Hollandrad von Frankfurt nach Duisburg gemacht hatte. „Im Taunus habe ich mir das Knie ruiniert“, sagte sie. „Es hat fast ein halbes Jahr gedauert, bis ich wieder schmerzfrei war. Wäre ich besser mal den Rhein entlanggefahren.“ Ich erzählte ihr nicht, dass sich meine Beine nach neun Tagen Radfahren am Rhein inzwischen anfühlten wie ein schlabbriges Rosinenweckchen. Stattdessen kaufte ich noch zwei Korn-Riegel, die mich in der Auslage anlachten.
Nicht ganz fertiges Zimmer für den Fertigen
War es der Kaffee oder waren es die Riegel oder die Kombination aus beidem? Jedenfalls rollte es sich auf dem nun folgenden letzten Tagesabschnitt wieder etwas leichter. Allerdings hatte ich diesmal einige Schwierigkeiten, ein Quartier für die Nacht zu finden. „Die nächste Messe in Düsseldorf steht vor der Tür, wir sind mit Business-Leuten ausgebucht“, erklärte mir eine Hotelmitarbeiterin in Rheinberg, rund 20 Kilometer hinter Duisburg. Und auch beim nächsten Anruf holte ich mir mit derselben Begründung eine Absage. Zunächst. Ein paar Minuten später rief mich der Hotelier aus Rheinberg-Ossenberg noch einmal zurück. Er hätte unter Umständen doch noch ein Zimmer, das renoviert werde und noch nicht ganz fertiggestellt sei: „Ein Bett ist da, ein Sofa und auch das Bad ist funktionstüchtig. Wollen sie dieses Zimmer zu einem Sonderpreis?“ Was für eine Frage! Selbstverständlich, nach 117 harten Tageskilometern von Köln nach Ossenberg. Und hinterher genehmigte ich mir noch, was ebenfalls nicht auf der Dopingliste steht: Einen Räuberspieß mit 300 Gramm Fleisch, eine riesige Portion Bratkartoffeln und ein Bier.