Die Welt – mein Klassenzimmer
Als ich nach meinem zweijährigen Master-Studium nach Hause zurückgekehrt bin, hatte ich nur meinen Koffer, meinen Laptop und meine Kamera. Ich dachte: Wie und wo soll ich mein Leben wieder aufnehmen? Bevor ich darüber in Panik geriet, dass ich materiell nicht viel besaß, habe ich mich an all die Besitztümer erinnert, die mit Geld nicht aufzuwiegen sind. Die Erfahrung, verschiedene Kulturen der Erde kennenzulernen und in ihnen zu leben – das war für mich fast wie das Klassenzimmer der Welt. Ich würde mir wünschen, dass jeder das erfahren könnte, besonders meine Landsleute. Sie hätten dann die Chance, zu verstehen, dass es mehr gibt als ihre eigenen Ethnien.
Die Unruhen und die Gewalt, die nach den Wahlen von 2007/2008 ausgebrochen sind, liegen hinter uns. Während dieser Zeit, haben viele Kinder die Schule versäumt, denn sie mussten fliehen, waren nirgendwo in Sicherheit. Viele Kinder wussten nichts über die unterschiedlichen Ethnien, sogar meine Geschwister haben hierzu Fragen – oft unbequeme Fragen – an ihre Mitschüler und Lehrer gestellt.
Als ich zur Grundschule ging, konnte ich meine Mitschüler nicht nach ihren Ethnien unterscheiden. Denn ich habe eine Schule auf dem Land besucht, wo die meisten Leute dieselbe Sprache gesprochen haben. Ich fand es toll, Kinder von anderen Ethnien kennenzulernen. In der weiterführenden Schule, in der Hauptstadt Nairobi, gab es eine bunte Mischung von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Ethnien. Das war für mich ein Lernumfeld, das mir viel gegeben hat, das sehr bereichernd war.
Natürlich gibt es auch Stereotype. Manche Ethnien sind bekannt für bestimmte Eignungen und Fähigkeiten. Und oft erwartet man, dass Menschen, die ihnen angehören, auch Fächer in dieser Richtung studieren und eine entsprechende Karriere einschlagen. Oft sind diese Stereotype bedingt durch die jeweiligen wirtschaftlichen Verflechtungen einer Ethnie oder sogar durch deren Beziehung zu den ehemaligen Kolonialisten. Die Menschen der Ethnie, der ich angehöre, kennt man als gute Wächter oder Athleten. Ich glaube, wir sind genetisch bedingt gute Athleten, und das Klima meiner Heimat hilft beim Training. Aber man sieht uns eher als Wächter. Diese Einschätzung hat sich verfestigt durch den Einsatz im Wachtdienst für den ehemaligen Präsidenten. Ein Studium war hierfür keine Voraussetzung. Gleich nach Abschluss der Schule konnte man einen Job bekommen.
Angehörige einiger Ethnien sind bekannt als gute Geschäftsleute, andere als Akademiker und wieder andere als Bauern. Heutzutage sollten Stereotype eigentlich keine große Rolle spielen. Trotzdem gibt es Lehrkräfte, die sich davon leiten lassen. Und so verfestigen sich Vorurteile auch bei einigen Studenten, besonders dann, wenn stereotypes Denken nicht nur über die Bildung, sondern auch über das Elternhaus weitergegeben wird. Aber das kommt heute immer seltener vor, denn unsere Generation macht einen Bogen um Stereotype.