Ein Interview mit dem Dirigenten Paul MacAlindin
In meinem letzten Beitrag habe ich versprochen, ein Interview mit dem musikalischen Direktor des National Youth Orchestra of Iraq (NYOI), Paul MacAlindin, einzustellen. Er stammt aus Schottland und lebt in Köln.
Herr MacAlindin, in welcher Weise hat sich die musikalische Qualität des NYOI seit seiner Gründung verbessert?
Paul MacAlindin: Arabische, kurdische und klassische Musik haben einen Aufbau, der erst verinnerlicht werden muss, bevor eine Verbindung der Seele mit dem Klang entstehen kann. Der Krieg und eine prinzipiell negative Wahrnehmung von Kunst haben Viele davon abgehalten, diesen Aufbau zu erlernen. Allerdings kann niemand den Teil des menschlichen Gehirns, der ausschließlich für Musik zuständig ist, davon abhalten, der Musik Ausdruck zu verleihen. Daher haben junge Iraker intuitiv Wege gefunden, auch in schwierigen Zeiten Musik zu machen. Musik wurde zum Tröster, zur Abwehr gegen das Chaos und die Gewalt. Das Internet hat die Lehrer ersetzt.
Das NYOI bringt Lehrer in den Irak, die die jungen Musiker schulen. Das passiert in Intensiv-Kursen, in denen die Musiker erfahren, wie viel sie lernen können, wenn sie die Chance dazu erhalten.
Die Lehrer, die den Irak während der Invasion verlassen haben, kommen möglicherweise nie zurück. Doch in denen, die mutig genug waren zu bleiben, haben wir die Hoffnung geweckt, jetzt und in Zukunft handfest unterstützt zu werden.
Dauerhafte Konflikte haben zur Folge, dass Menschen sich hilflos fühlen, verängstigt sind und nur ans nackte Überleben denken, selbst nach Kriegsende. Die NYOI Musiker und Freunde haben ihr eigenes Projekt ins Leben gerufen und so begonnen, diese Denkweise abzulegen und stark zu werden. Ich bin davon überzeugt, dass einige der laufenden „Good practice“-Projekte im Irak durch das NYOI angeregt wurden. Musiker des NYOI geben inzwischen sogar das Wissen, das sie durch die Orchesterarbeit mit den Tutoren erlernt haben, selbst weiter.
Was ist für die Weiterentwicklung der irakischen Musikschulen erforderlich?
Ganz einfach: Ein respektvoller Dialog mit Musikern außerhalb des Irak wäre sinnvoll. Oder die Erlaubnis, dass ein
junger Lehrer herkommen und für sechs Monate hier arbeiten kann. Auch der begrenzte Aufenthalt eines Musikensembles wäre denkbar. Grundsätzlich ist es doch so, dass Musik Menschen vereint. Und das kann nur geschehen, wenn die Menschen in Sicherheit zueinander finden. Und wenn das passiert, entwickeln sie ein Bedürfnis nach mehr Auftritten und verbessertem Unterricht.
Nur dann können Musiker sich darüber verständigen, was sie brauchen und mit wem sie gerne arbeiten möchten. Herzstück des Erfolgs eines jeden Musikers ist Mobilität – egal, ob der Weg ins nächstgelegene Dorf oder den nächstgelegenen Kontinent führt – Mobilität ist die absolute Voraussetzung.
Wie kann man klassische Musik in den Köpfen der Menschen im Osten verankern? Und wie schwierig gestaltet sich das?
Wenn wir rein über Orchestermusik sprechen, ist es einfach, denn sie ist allgegenwärtig: in Filmmusik, Werbespots, Hotel-Foyers, Popmusik – weltweit. Kurdische und arabische Musik mischt Klarinetten, Geigen, Cellos, und Flöten zu den Klängen traditioneller Instrumente und erschafft auf diese Weise gemischte Orchester. Wollen Menschen wirklich in aller Ruhe ein Orchester-Konzert hören? Viele Menschen aus dem Westen können das nicht. Aber Live-Musik, egal ob traditionelle oder orchestrale, bringt Menschen zusammen. Und wenn das wieder und wieder geschieht, entsteht eine Struktur in der Gesellschaft, die Gefühle und Einfälle hervorbringt anstelle von Konflikten.
Was möchten Sie gerne noch zum Abschluss mitteilen?
Einer meiner Freunde, Sir Peter Maxwell Davies, der im vergangenen Jahr ein Stück für das NYOI schrieb, sagte, dass ein Ort nicht wirklich existiert, wenn niemand dort Musik aufführt, die von diesem Ort handelt. Man hat die Wahl, in Angst zu leben – halb lebendig – oder seine Heimat mit Musik erblühen zu lassen.