Mopeds am Berg
Eigentlich müsste ich jetzt mit einem Fluch beginnen. Doch das, was heute nachmittag hier im Basislager des Kokodak Dome auf 4335 Metern zu hören war, war nicht gerade druckreif. Wir waren stinksauer. Bereits gestern in Kashgar hatten wir die Hälfte unseres Gepäcks vorgeschickt, damit es rechtzeitig im Basislager eintrifft. Als wir heute morgen aufbrachen, ließen wir die andere Hälfte der Seesäcke und Expeditionstaschen dort zurück, wo wir die Nacht im Zelt verbracht hatten. Mit der lokalen Partner-Trekkingagentur war vereinbart, dass das Gepäck hinauf zum Basislager transportiert würde, während wir nur mit unseren Tages-Rucksäcken aufstiegen. Eigentlich hätten wir stutzig werden müssen. Weit und breit keine Kamele , die in dieser Region doch normalerweise zum Materialtransport eingesetzt werden. Stattdessen beobachteten wir, wie kurz nach unserem Aufbruch zwei Mopeds mit je drei Taschen an uns vorbeifuhren. Wir dachten, dass das Gepäck im steileren Gelände auf Kamele umgeladen würde. Doch wir trafen nur vier klapprige Esel, die uns entgegenkamen.
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Der erste Blick
„Also ganz ehrlich“, sagt André, „ich hätte nicht gedacht, dass der Schamanentanz so viel Glück bringt. Vielleicht hätten wir die Kostüme aus Tash Rabat mit ins Basislager nehmen sollen.“ Wir stehen am Ufer des Kara Kol, des „Schwarzen Sees“. Vor einer halben Stunde noch lagen alle Gipfel der Kongur Range in den Wolken. Zu dieser Bergkette, in der sich ein Siebentausender an den nächsten reiht, gehört auch der Kokodak Dome. In den letzten 30 Minuten konnten wir dabei zusehen, wie der starke Wind in großer Höhe seine Arbeit verrichtete. Erst entblößte er auf der gegenüber liegenden Seite den rund 7500 Meter hohen Mustagh Ata, einen sehr beliebten Expeditionsberg. Jetzt haben wir diesen mächtigen Schnee- und Eisklotz im Rücken und bestaunen unser Ziel: den noch unbestiegenen 7129 Meter hohen Kokodak Dome. Etwa zehn Kilometer Luftlinie entfernt, schüttelt nun auch er die Wolken ab. Ich bin beeindruckt. Aus der Ferne sieht er steiler aus, als ich erwartet hatte. Ein ziemlicher Koloss.
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Grenzwertig
Warten auf Godot ist dagegen Kindergarten. Ich muss an das ironische Video denken, das Jörg Schmadtke, Sportdirektor meines Leib- und Magenvereins 1. FC Köln, in der vergangenen Saison ins Netz gestellt hat, um der in meiner Heimatstadt allzu leicht aufkommenden Fußball-Euphorie entgegenzuwirken. „Ruhig bleiben, schön ruhig bleiben!“ Diese Worte wiederholt Schmadtke wie ein Mantra, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Bei der insgesamt sechsten Grenzkontrolle (zwei in Kirgistan, vier in China) kann einem das Lächeln allerdings schon mal vergehen. Besonders wenn du gut eine halbe Stunde im Bus in der Sonne warten musst, weil das Personal der Grenzstation im Stechschritt verschwindet, um erst einmal in aller Ruhe zu essen. Gott sei Dank kehren die Uniformierten nach einer Weile zurück, um möglichst schnell ihr Tagewerk zu beenden. Das verschafft uns den Vorteil, dass wir zwar sämtliches Gepäck im Rekordtempo durch den Scanner jagen müssen, aber so gut wie nichts durchsucht wird. „Die sind zwar penibel, aber nicht sorgfältig“, stellt Manuel fest. So bleiben an einem der Posten, an dem eigentlich alle Fotoapparate und Computer überprüft werden sollen, zwei Geräte unkontrolliert. Stattdessen interessieren sich die Grenzbeamten mehr für Eisschrauben oder Zeltstangen. Für uns gilt die Devise: Immer lächeln, bloß nicht ausrasten! Das Gesicht zu verlieren, wird in China nicht verziehen. Schon gar nicht an der Grenze.
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Halbfinal-Triumph mit Fortsetzung
Ein perfekter Tag beginnt mit einer perfekten Nachricht. Eigentlich will ich direkt nach dem Wachwerden eine Satellitenverbindung aufbauen, um im Internet nachzusehen, wie die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im WM-Halbfinale gegen Brasilien abgeschnitten hat. Schließlich war der Anstoß in Belo Horizonte in Kirgistan um 2 Uhr nachts und wir zählten zu dieser Zeit die Schäfchen. Doch ich komme nicht rechtzeitig aus dem Schlafsack, weil ich schlecht geschlafen habe. Vielleicht waren meine Gedanken doch bei der WM in Brasilien. Als ich die Jurte betrete, in der wir frühstücken, werde ich gleich mit der Frage empfangen, ob ich schon online war. Kleinlaut muss ich gestehen, dass ich verschlafen habe. Meinen Milchreis schlinge ich mehr in mich hinein, als dass ich ihn esse und verschwinde bald wieder in meine Schlafjurte. Als die Satellitenverbindung steht, traue ich meinen Augen nicht: 7:1 für Deutschland! 7:1? Unglaublich. Eine zweite Quelle, wieder 7:1. Als ich in die Frühstücksjurte zurückkehre, mache ich es ein bisschen spannend, indem ich eine Schlagzeile zitiere: „Das Wunder von Belo Horizonte“. Als ich das Ergebnis hinterherschicke und die Torschützen nenne, wird es laut in der Stille Kirgistans. „Das gibt es doch gar nicht!“ – „Wahnsinn!“ – „Und Klose hat jetzt auch noch den WM-Torrekord!“ Nur Churchy ist nicht begeistert: „Das wäre uns Österreichern nicht passiert. Das gehört sich nicht, den WM-Gastgeber mit 7:1 abzufertigen. Ein 4:0 hätte es auch getan. Respektlos!“ Viele Anhänger findet Churchy mit dieser Ansicht in der allgemeinen Euphorie nicht.
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Kleines Gipfelglück
Zweimal waren wir schon oben. Heute haben wir die ersten beiden Gipfel bestiegen. Keine 7000er, keine 6000er, keine 5000er, keine 4000er, aber immerhin zwei 3000er. Okay, wir sind ja schon auf 3000 Meter gestartet, es war also keine große alpinistische Leistung. Und doch hatten wir schon einmal kurz dieses Gefühl, dass es nicht mehr höher geht und sich der Blick nach unten und in die Weite öffnet. Gipfelglück light.
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Schüttelkur
Jetzt weiß ich, wie sich der Martini von James Bond fühlt: Geschüttelt, nicht gerührt! Mein Mageninhalt hat sich in einen schlechten Cocktail verwandelt. Seit etwa drei Stunden holpern wir mit unserem Kleinbus über eine Straße, die keine ist, weil sie sich erst im Bau befindet. Ein Schlagloch nach dem anderen sorgt für einen Schlag nach dem anderen in die Magengrube. Wir flüchten uns in Galgenhumor. „Hier gibt es so viele Friedhöfe“, sagt Ursula, als wir wieder einmal einen solchen passieren. „Wahrscheinlich sterben die hier alle so früh.“ Ich ergänze: „Ja, den Schütteltod.“ Dabei hat Shenia, eine Mitarbeiterin der lokalen Trekking-Agentur in Bischkek, doch vor der Abfahrt noch gesagt: „Die Straße bis Tash Rabat ist eigentlich ganz in Ordnung.“
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Gut gelandet
Der erste Faden unseres Abenteuers an der Seidenstraße ist gesponnen. Wir sind in Bischkek gelandet, der Hauptstadt Kirgistans. Mitten in der Nacht. Viel Zeit verbringen wir hier nicht. Vom Flughafen geht es direkt ins Hotel. „Dort müssen wir dann ein bisschen intensiver schlafen“, kündigt Expeditionsleiter Luis noch im Flugzeug an. „Nach vier Stunden klingelt der Wecker. Wir dürfen nicht zu spät aus Bishkek wegkommen, weil noch eine lange Fahrt vor uns liegt.“ Den ersten Reisetag haben wir immerhin schon einmal planmäßig hinter uns gebracht.
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Unterwegs
Abschied tut weh. Die Tränen meiner Lieben brennen noch auf meinen Wangen. Und dann ihre Blicke, die signalisieren: ‚Ach, wärest du doch schon wieder zurück! Oder würdest gar nicht erst wegfahren!‘ Und doch sitze ich nun im Zug Richtung München, auf dem Weg in ein neues Abenteuer – mit einem schlechten Gewissen und dem Gefühl, vielleicht doch ein blöder Egoist zu sein. Jeder Aufbruch ist eine Reise ins Ungewisse. Wer loszieht, hat es einfacher. Auf ihn warten neue Erlebnisse, Erfahrungen, Eindrücke. Alle, die zurück bleiben, können nur warten, hoffen, beten, dass auch dieses Abenteuer gut ausgeht. Natürlich habe ich meinen Lieben versichert, dass ich vorsichtig sein werde. Und doch werden sie wohl erst ruhig schlafen, wenn ich wieder im Zug sitze – in Gegenrichtung.
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Das Expeditionsteam
Ein zusammengewürfelter, bunter Haufen. Das ist – wie bei jeder kommerziellen Expedition – auch unser Team, das sich am Wochenende auf den Weg zum Siebentausender Kokodak Dome im Westen Chinas macht. Anfang April haben wir uns mit Expeditionsleiter Luis Stitzinger bei einem eintägigen Vortreffen in Oberstdorf erstmals „beschnuppert“. Werden wir am Berg zu einer echten Mannschaft zusammenwachsen? Mein Bauchgefühl ist ein gutes. Aber erweisen wird es sich erst in den nächsten vier Wochen. Hier stelle ich euch kurz in alphabetischer Reihenfolge meine Mitstreiter vor.
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Der Expeditionsleiter: Luis Stitzinger
Auch für Luis ist es keine Expedition wie jede andere. „Es ist ein sehr aufregendes Projekt“, sagt Luis Stitzinger. „Eine Erstbesteigung in dieser Höhenklasse bekommt man nicht jeden Tag geboten. Ich freue mich persönlich auch sehr darauf.“ Der Bergführer aus Füssen, der unsere Expedition zum Kokodak Dome leitet, gehört zu den bekanntesten deutschen Höhenbergsteigern. Sechs Achttausender hat der 45-Jährige bereits bestiegen: den Cho Oyu (im Jahr 2000), Gasherbrum II (2006), Nanga Parbat (2008), Dhaulagiri (2009), Broad Peak (2011) und die Shisha Pangma (2013), die letzten fünf gemeinsam mit seiner Frau Alix von Melle. Luis gilt zudem als Spezialist für Skiabfahrten von den höchsten Bergen der Welt.
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Schlechter Everest-Witz
Als wäre nichts gewesen. Die chinesische Bergsteigerin Wang Jing hat in Kathmandu aus den Händen nepalesischer Regierungsvertreter ihr Everest-Zertifikat erhalten. Damit wird der 41-Jährigen bescheinigt, dass sie den höchsten Berg der Erde am 23. Mai bestiegen hat. Hochoffiziell und vor allem ohne jede Einschränkung. Merkwürdig.
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Mittelschwerer Siebentausender
Läge der Kokodak Dome nicht im Westen Chinas, sondern in Slowenien, herrschte wohl Hühneralarm. Im Slowenischen ist „Kokodak“ nämlich das lautmalerische Wort für Gegackere. Woher das Ziel unserer Expedition, die Ende der Woche beginnt, seinen Namen hat, konnte ich noch nicht abschließend klären. Ich vermute, dass die Silbe „dak“ auf das uigurische „thak“ zurückgeht, was Berg bedeutet. Und „koko“? Vielleicht das mongolische Wort für „blau“. Blauer Berg? So ganz schlüssig finde ich das aber nicht. Wenn ich das Rätsel noch lösen kann, werde ich es euch wissen lassen. Zweifellos ist „Dome“ das englische Wort für Kuppe, und das trifft die Form des 7129 Meter hohen Gipfels recht präzise.
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Neuland betreten
Zum ersten Mal seit 40 Jahren werde ich das Finale einer Fußball-Weltmeisterschaft verpassen. Unglaublich. Das ist für einen Sportjournalisten in etwa so, als würde ein Bergsteiger eine Einladung zu einer Traum-Expedition ausschlagen. Und so wird auch ein Schuh daraus. Ende kommender Woche werde ich zu einer Expedition aufbrechen. Sie führt mich in den Westen Chinas. Ziel ist der Kokodak Dome, ein 7129 Meter hoher Berg im Kuen-Lun-Gebirge. Er ist – lese und staune – noch unbestiegen. Ein Siebentausender, und noch niemand war oben? Um ehrlich zu sein, streng genommen handelt es sich nicht um einen Haupt-, sondern einen Nebengipfel. Schwamm drüber, denn es ist es wirklich so: Der höchste Punkt ist noch jungfräulich.
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Huberbuam blasen Pakistan-Expedition ab
Die Huber-Brüder haben ihre geplante Expedition zur Nordwand des Siebentausenders Latok I in Pakistan abgesagt – „wegen der politischen Situation in Pakistan“, wie Alexander und Thomas Huber auf Facebook schreiben. „Natürlich schwirrt der Traum dieser gigantischen Wand noch in unseren Köpfen herum. Und wir hoffen, dass wir im nächsten Jahr eine neue Chance erhalten.“ Die beiden deutschen Spitzenkletterer und ihre Teamgefährten Dani Arnold und Mario Walder saßen bereits auf gepackten Koffern, um Richtung Pakistan zu starten. „Das Risiko war einfach nicht kalkulierbar“, sagt Alexander, als ich ihn am Telefon nach den Gründen für die Absage frage. „Erst die Taliban-Offensive, jetzt die Gegenoffensive der Armee in Nord-Waziristan. Da wird es ganz sicher mehr Terroranschläge geben.“
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Himalaya-Bergsteiger aus dem WM-Land
Deutschland und Brasilien haben nicht nur gemeinsam, dass sie Fußball-Nationalteams hervorbringen, die zu den besten der Welt gehören (wie unsere Kicker gestern eindrucksvoll demonstriert haben). Auch in Sachen Berge gibt es eine Parallele: Beide Länder haben keinen Dreitausender. Der Zugspitze fehlen dazu 38, dem Pico da Neblina nur sechs Meter. Dieser Berg liegt im Norden Brasiliens, an der Grenze zu Venezuela, und ist nicht nur der höchste, sondern auch schwierigste des Landes. Erst 1965 wurde er von Mitgliedern einer Militärexpedition erstmals bestiegen. Im Himalaya tauchen brasilianische Bergsteiger seit über zwanzig Jahren mehr oder weniger regelmäßig auf.
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